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Sklaven oder Knechten gleichgestellt, die nur kurzgeschorenes Haar tragen
dursten), ließ er sie ermorden.
Einen dritten König überzog er ebenfalls mit Krieg und ließ den Ge¬
fangenen nebst dessen Bruder vor sich führen. Als er ihn gefesselt vor sich
sah, schlug er ihn mit der Streitaxt nieder, indem er ihm zurief: „Wie darfst
du deinen königlichen Stand so schänden und diese Fesseln tragen?" Dann
wandte er sich zu dem Bruder und schlug ihn ebenfalls nieder, indem er
sprach: „Hättest du deinem Bruder besser geholfen, so würde er jetzt keine
Ketten getragen haben!"
Als er auf solch grausame Weise seine ganze Verwandtschaft ausgerottet
hatte, klagte er öffentlich, daß ihm kein lieber Verwandter übrig geblieben sei,
der ihm im Unglück beistehen könne. Das tat er aber nur, um sicher zu sein,
daß keiner sich verborgen hielt.
4. Chlodwigs Tod. So hat Chlodwig, der „allerchristlichste König",
mit viel Unrecht und Frevel, aber mit ungewöhnlicher Kraft und Kühnheit das
große Frankenreich aufgerichtet, das von der Garonne bis zur Nordsee, vom
Atlantischen Ozean bis zum Neckar, Main, Werra, Altmühl und Lech reichte und
das er von Paris aus regierte. Doch waren diese Länder zunächst nur äußer¬
lich verbunden; an der inneren Verschmelzung derselben zu arbeiten, war ihm
nicht beschieden. Denn nicht lange genoß er die Frucht seiner Frevel; im kräftigsten
Mannesalter, im 45. Lebensjahre, starb er plötzlich zu Paris im Jahre 511.
Roh, heimtückisch, gewalttätig und gewissenlos wie kein zweiter Herrscher
dieser wilden Zeit, übertraf er die meisten Germanenfürsten doch auch an staats-
männischer Kraft. Den Zeitgenossen, besonders den Römern, erschien Chlod¬
wigs rasches Emporsteigen als eine himmlische Fügung, um so mehr, als er
Katholik, nicht Arianer war. An den zahlreichen Freveltaten aber, so groß
sie auch waren, nahmen seine Anhänger so wenig Anstoß, daß der Geschichts¬
schreiber der Franken, der Bischof Gregor von Tours, nachdem er diese Greuel
erzählt hat, unbefangen hinzusetzt: „So warf Gott Tag für Tag seine Feinde
vor ihm zu Boden und vermehrte sein Reich, darum, daß er rechten Herzens
vor ihm wandelte und tat, was seinen Augen wohlgefiel."
B. Vertiefung.
Was ist über Chlodwig zu urteilen?
a) Was gefällt uns an ihm? Seine ungewöhnliche Kraft und Kühn¬
heit, mit der er aus kleinen Anfängen das große Frankenreich aufrichtet und
dadurch dem germanischen Namen zu neuem Ansehen verhilft. — Die Wahr¬
heitsliebe, mit der er sein in heißer Schlachtnot gegebenes Versprechen, sich
im Falle des Sieges zum Christentum bekehren zu wollen, nach errungenem
Siege hält. „Ein Mann — ein Wort."