Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen

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Blättern überrascht uns durch ihre Üppigkeit; und einladend winkt die wilde 
Ananas, die an Süße und Wohlgeruch von der Gartenananas kaum über— 
troffen wird. 
Wie in den Wäldern und an den Flußufern ist auch in den Llanos 
die Tierwelt reich vertreten. Unzählige, winzig kleine und größere Vögel 
schwirren um uns her. Wir sehen hier farbige Kolibris und zierliche 
Reis-⸗ und Blau-Vögel, kleine Tauben und Wachteln ersetzen den Sperling 
des Nordens. Vor ihrem Erdloch sitzt unbeweglich die Savannen-Eule, 
und rotköpfige Spechte untersuchen mit ihren Schnäbeln modernde Baum— 
stämme. Wo sich in Vertiefungen ein See oder Sumpf gebildet hat, weilen 
zahlreiche Sumpf- und Wasservögel: weiße und graue Reiher, rosafarbene 
Löffelgänse, blaue und braune Wasserhühner, der Pajarro vaco, dessen Stimme 
Ähnlichkeit mit dem Brüllen einer Kuh hat, und beweglos sitzend oder gravi— 
tätisch einherschreitend der mannsgroße „Soldado“, fo genannt seines roten 
Kragens wegen. Den größten Teil des Körpers im Wasser und verdeckt von 
den fleischigen Blättern des Rhabano weilt hier der Tapir und das Wasser— 
schwein, von denen ersterer sehr furchtsam und scheu und äußerst schwer zu 
erjagen ist; sein Fleisch ist wohlschmeckend und die Haut ihrer Stärke 
wegen sehr gesucht. Wo es freies Wasser gibt, tummeln sich Scharen von 
wilden Enten, darunter die beinahe gansgroße Königsente. Die feuchten 
Ufer dieser Sümpfe sind ferner reich an Schildkröten, es gibt ihrer drei 
Arten: die am häufigsten anzutreffende Morocoi, die seltenere Icotea und 
endlich die kleine Galopago-Schildkröte. Die beiden ersteren Arten bilden 
eine beliebte Fastenspeise. Als Besonderheit der Llanos erwähne ich noch 
das Gürteltier, das gleichfalls einen vorzüglichen Braten liefert, an dem 
nur ein mehr oder minder starker Moschusgeruch auszusetzen wäre. Aber 
auch viel schädliches Gewürm bergen diese üppigen Grasebenen; und zahl— 
reiche Schlangen, darunter die berüchtigte Klapperschlange, machen ihr Be— 
treten, namentlich kurz nach Sonnenuntergang, gefährlich. Vor wenigen 
Monaten hatte ich das Unglück, von einem ziemlich großen Exemplare dieser 
Gattung gebissen zu werden; augenblickliches Aussaugen der Wunde, Aus— 
waschen derselben mit Ammoniak, sowie innerlicher Gebrauch desselben 
retteten mir das Leben; aber mehrere Wochen noch hatte ich an den Folgen 
dieses Bisses zu leiden. Schwindel und häufiges Erbrechen, körperliche 
Schwäche und Nervenkrämpfe stellten sich zu wiederholten Malen ein; auch 
glaube ich, daß es kaum eine schmerzhaftere Wunde gibt als die eines 
Schlangenbisses. 
Ein nicht minder hehres Schauspiel, als das des Sonnenaufgangs 
in den Llanos, bietet uns der Sonnenuntergang. Wie flüssiges Gold strahlt 
hier der Horizont, und die dem Boden entsteigenden Dünste breiten einen 
dünnen Schleier darüber, daß der Glanz dem Auge wohlthut, es aber nicht 
blendet. Und dann, wenn die Sonne geschwunden, welche Zartheit der 
Lufttöne, dieser Übergang vom dunkelsten Rot in tiefes Violett, vom lichten 
Blau in durchsichtiges Grün! Die langsam dahinschreitenden Passatwolken 
scheinen in zartes Rosa getaucht, das erst erblaßt, wenn auch die letzten
	        
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