Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen

— 411 — 
kann.» So war Prinz Wilhelm drei Jahre lang Schüler des 
Kasseler Gymnasiums und unterwarf sich willig der Schulordnung. 
In allen Stücken, selbst in der Kleidung, stellte er sich seinen 
Mitschulern gleich, nabm teil an ihren Bestrebungen, Spielen und 
Scherzen, und alle, welche mit ihm diè Schule besuchten, rühmen 
die Preundlichkeit, mit welcher er ihnen stets begegnet sei. Seinen 
Lehrern gegenüber war er bescheiden, entgegenkommend und ge— 
horsam; er entzog sich sogar nicht den Kleinen Dienstleistungen, 
zu welchen die Schüler in den Klassen herangezogen zu werden 
pflegen. Dem Unterricht folgte er mit unermüdlicher Ausdauer; 
namentlich brachte er dem Unterricht in der Geschichte grobe 
Teilnahme entgegen, und unsere deutschen Heldensagen machten 
ihm eine besondere Preude. Nebenbei versäumte er aber auch 
niceht die Pflege seiner Körperlichen Ausbildung, und obwohl von 
Geburt mit einer kleinen Schwäche des linken Arms behaftet, 
wurde er doch ein vortrefflicher Durner, Schwimmer und Pechter, 
wie er sich auch später zu einem kühnen und gewandten Reiter 
ausgebildet hat, alles dureh Selbstbeherrschung und eiserne Be- 
harrlichkeit. 
Nachdem der Prinz mit regem Pleibe und gröbter Pflichttreue 
sich von Klasse zu Klasse emporgearbeitet hatte, bestand er, ge 
meinsam mit den Schülern der obersten Klasse, die Abgangs- 
prũüfung in so glänzender Weise, dab ihm die Anerkennungsmedaille 
zu teil wurde, welche nach altem Herkommen jährlich den besten 
Schulern des Kasseler Gymnasiums verliehen wird. Als ihm der 
Direktor dieselbe mit dem ausdrũücklichen Hinweis überreichte, dab 
er diess Auszeichnung vicht seinem Rang, sondern nur 
seinem unermüdlichen Fleibe und seinem tadellosen Be— 
tragen verdanke, da erwiderte er tief ergriffen: «Sie können sich 
nicht denken, wie sehr mieh diese Anerkennung erfreutl Ich bin 
mir bewubt, dab ich dieselbe wirklich verdient habe, da ich redlich 
meine Pflicht erfüllt und gethan habe, was in meinen Kräften stand.» 
Obgleich die preubischen Prinzen vom zehnten Lebensjahre 
an den Rang eines Sekonde-Leutnants innehaben, so wollte Prin- 
Wilhelm doch nicht auf Grund dieses Vorrechts, sondern nur durch 
eigenes Verdienst den Offiziersrang erwerben. Er erbat sich des- 
halb von seinem kaiserlichen Grobvater die Erlaubnis, vor seinem 
Eintritt ins Regiment die Offiziersprüfung ablegen zu dürfen, was
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.