Edelmut.
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Der erste Blitz! Eine weiße, zischende Schlange, den Himmel grell
beleuchtend! Ein Donnerschlag darauf, daß der Schimmel erschreckt einen
Seitensprung machte. Wieder ein Zucken! Jetzt brannte der Himmel,
auf die Dauer einer Sekunde in Feuer getaucht, daß Timoth sich unwill—
kürlich bekreuzte. Ein solches Unwetter hatte er noch nie erlebt. Blitz um
Blitz, einer heftiger als der andere, Krach um Krach, daß die Erde zitterte!
Durch die Dorfgasse zog schon ein trübes Bächlein, als Timoth,
völlig durchnäßt, den Schimmel in den Stall vorauslaufen ließ. Erbsen—
große Schlossen fielen aufspritzend in die grauen Wässerlein und Timoth
freute sich ehrlich auf die trockene, behagliche Stube. Hui, eine Feuergarbe!
Ein gellendes Krachen! Wo hat dieser Blitz gezündet?
Schon rennt ein Junge die Gasse herauf. „In der Schmiede hat's
eingeschlagen!“ Die trauliche Stube ist vergessen; Timoth läuft mit ein
paar Nachbarn zur Unglücksstätte, eilt ihnen mit der Kraft seiner jungen,
stählernen Glieder voraus. „Der Schmied Franz ist in die Stadt! Die
Schmiedin liegt oben! Die arme, lahme Frau!“
Leitern werden an das brennende Häuschen gelegt; aus den Fenstern
dringt durch die zerborstenen Scheiben stickender Qualm; hell schlägt die
Lohe flammend zum Dachstuhl heraus. Hier kann nur der Beherzteste
helfen. Timoth fliegt die Leiter empor, verschwindet im Rauch. Bis die
Dorfspritze ankommt, steht er schon mit rußgeschwärztem Antlitz wieder
auf der obersten Sprosse, gleitet herab und übergibt die Kranke, deren Züge
vor Entsetzen verzerrt sind, einigen hilfsbereiten Männern. „Bringt sie zu
mir heim!“ ruft der Brave und läßt sich nötigen selbst nach Hause zu
gehen; denn er zittert am ganzen Körper. „Bist es deinen Geschwistern
schuldig!“ Zu retten ist nichts mehr, nur zu löschen; das können die
andern auch tun.
Jammernd über das große Unglück nimmt die Base die Schmiedin
auf und bringt sie mit Hilfe von gutherzigen Nachbarinnen ins „gefeierte“
Bett, indes die zwei Kinder mit erschreckten, großen Augen in der Küche
beieinander kauern und beten. Bruder Timoth hat heute einem Menschen
das Leben gerettet! Ins Feuer ist er gesprungen! Sie getrauen sich
kaum ihn anzublicken, als er zum Brunnentroge in der Küche geht seine
zerschundenen Hände und sein verrußtes Gesicht zu waschen. Als er aber
schmeichelnd über den dunklen Kopf der zehnjährigen Schwester fährt und
fragt: „Kennst du mich denn noch?“ — da schlingen sich vier Arme um
ihn und in einem Schluchzen löst sich all die Angst, welche die Kleinen
um den lieben Bruder ausgestanden haben.
Von den dreien ungesehen ist ein junger Mann in die Küche ge—
treten; als Timoths Geschwister seiner ansichtig werden, fliehen sie scheu
hinaus.
„Timoth!“ — „Franz!“ — „Du hast mir die Mutter gerettet!
Gerade du!“ — „Was ist da Großes dabei? Dank' unserm Herrgott, daß
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