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des Dichters öffnet; es ist ein kleines niedriges, schmuckloses, mit grünen
Tapeten geziertes Zimmerchen, genau so hergestellt, wie es vor siebzig
Jahren war.
Als Immermann es sah, war noch nichts von der Stelle gerückt;
jedes Blättchen, jeder Federschnitzel war am Orte geblieben, wo sie
lagen, da der Meister entschlief. Noch zeigt die Uhr die Todesstunde,
halb zwölf; sie stockte damals, der Zufall schuf ein Wunderähnliches.
Neben ihr steht am Fenster rechts der kleine Schreibtisch, den der Groß—
vater für die Enkel machen ließ, die er nach dem Tode des Vaters
wieder unter seine eigne Obhut und in seine nächste Nähe nahm. Alma
mußte, um stillsitzen zu lernen, an dem Tischchen neben den Brüdern
Wölschen und Walter Seidenläppchen zupfen. Da liegen sie noch in
einem Briefkuvert.
Hier ist jeder Fleck geweihter Boden, und tausend Gegenstände,
von denen das Zimmerchen erfüllt ist, reden von dem Wesen und Weben
des Geistes. Ringsumher an den Wänden laufen niedrige Schränke mit
Schiebfächern, in denen Schriften aufbewahrt wurden; darüber befinden
sich Bücherschränke, worin Goethe die Sachen stellte, mit denen er sich
eben beschäftigte. Das Holzwerk ist altersbraun, ein Schrank von
poliertem und glänzendem Kirschbaum sticht dagegen ab; die Schwieger—
tochter redete ihm ihn auf, Goethe mochte lange das gleißende Möbel
nicht leiden, „das ihn zerstreue.. Darum ist auch kein Kunstwerk im
Zimmer, wie man auch vergeblich sich nach einem Spiegel und Sofa
umsieht. Letzteres bedurfte er schon deshalb nicht, weil er den ganzen
Tag ging oder stand. Er las stehend, er schrieb stehend, er verzehrte
selbst sein Frühstück an einem hohen Tische stehend. Ein gleiches Ver—
halten empfahl er jedem, für den er sich interessierte, angelegentlich als
lebenerhaltend. In der Mitte des Zimmers steht ein großer runder
Tisch, daran saß der Schreiber, dem er diktierte, während er den Tisch
unaufhörlich umwandelte.
Sehen wir uns in dieser ehrwürdigen Werkstatt noch etwas genauer
um! Hier liegt eine schwarzgefärbte Halbkugel aus Pappe, auf der
Goethe mittels einer gläsernen Kugel voll Wasser bei hellem Sonnen—
schein alle Regenbogenfarben zu entzünden liebte. Damit hat er sich
stundenlang beschäftigen können, besonders nach dem Tode seines Sohnes,
und seine größte Freude ist gewesen, wenn der bunte Schein sich so
recht kräftig hervorlocken ließ. Dort steht das kleine Brustbild Napoleons
aus Opalfluß, das ihm neugefundene Wahrheiten der Farbenlehre be—
stätigte und ihm zum wahren Entzücken gereichte! Über jene Flasche,
die uns da auf dem anderen Tische gezeigt wird, jauchzte er wie ein
Kind. Es war roter Wein darin gewesen; sie hatte auf der einen
Seite umgelegen, und als Goethe sie zufällig gegen das Licht hielt, so
sah er darin die allerschönsten Kristallisationen des Weinsteins in Blätter—