Full text: Für Tertia (Abtheilung 1, [Schülerband])

100 B. Lyrisch epische Poesie. VI. Erzählungen, Balladen, Nomanzen. 
Sie grüßen einander, sie setzen beisammen sich zum Mahl 
Und loben den Trunk der Quelle und loben Allah zumal. 
3. Sie haben um ihre Reise theilnehmend einander befragt, 
Was Jeder verlangt zu wissen, willfährig einander gesagt. 
Sie haben einander erzählet von dem und jenem Ort, 
Da spricht zuletzt der Derwisch ein gar bedächtig Wort: 
4. „Ich weiß in dieser Gegend — und kenne wohl den Platz 
Und könnte dahin dich führen — den unermeßlichsten Schatz. 
Man möchte daraus belasten mit Gold und Edelgestein 
Wohl achtzig, wohl tausend Kamele, es wiirde zu merken nicht sein." 
5. Abdallah lauscht betroffen, ihn blendet des Goldes Glanz, 
Es rieselt ihm kalt durch die Adern, und Gier erfüllt ihn ganz: 
„Mein Bruder, hör', mein Bruder, o führe dahin mich gleich! 
Dir kann der Schatz nicht nützen, du machst mich glücklich und reich. 
6. Laß dort mit Gold uns beladen die achtzig Kamele mein, 
Nur achtzig Kameleslasten, es wird zu merken nicht sein. 
Und dir, mein Bruder, verheiß' ich zu deines Dienstes Sold 
Das beste von allen, das stärkste, mit seiner Last von Gold." 
7. Darauf der Derwisch: „Mein Bruder, ich hab' es anders gemeint: 
Dir vierzig Kamele, mir vierzig, das ist, was billig mir scheint; 
Den Werth der vierzig Thiere empfängst du millionenfach; 
Und hätt' ich geschwiegen, mein Bruder, o denke, mein Bruder, doch nach!" 
S. „Wohlan, wohlan, mein Bruder, laß gleich uns ziehen dahin! 
Wir theilen gleich die Kamele, wir theilen gleich den Gewinn." 
Er sprach's, doch thaten ihm heimlich die vierzig Lasten leid, 
Dem Geiz in seinem Herzen gesellte sich der Neid. 
°9. Und so erhoben die Beiden vom Lager sich ohne Verzug, 
Abdallah treibt die Kamele, der Derwisch leitet den Zug. 
Sie kommen zu den Hügeln; dort öffnet, eng und schmal, 
Sich eine Schlucht zum Eingang in ein geräumig Thal. 
10. Schroff überhangend, umschließet die Felswand rings den Raum, 
Noch drang in diese Wildniß des Menschen Fuß wohl kaum. 
Sie halten; bei den Thieren Abdallah sich verweilt, 
Der sie, der Last gewärtig, in zwei Gefolge vertheilt. 
11. Indessen häuft der Derwisch am Fuß der Felsenwand 
Verdorrtes Gras und Reisich und steckt den Haufen in Brand; 
Er wirft, sowie die Flamme sich prasselnd erhebt, hinein 
Mit seltsamem Thun und Reden viel kräftige Spezerei'n. 
12. In Wirbeln wallt der Ranch aus, versinsternd schier den Tag, 
Die Erde bebt, es dröhnet ein starker Donnerschlag, 
Die Finsterniß entweichet, der Tag bricht neu hervor, 
Es zeigt sich in dem Felsen ein weitgeöffnet Thor. 
13. Es führt in prächtige Hallen, wie nimmer ein Aug' sie geschaut, 
Aus Edelgestein und Metallen von Geistern der Tiefen erbaut; 
Es tragen goldne Pilaster ein hohes Gewölb' von Krystall, 
Hellfunkelnde Karfunkeln verbreiten Licht überall. 
14. Es lieget zwischen den goldnen Pilastern, unerhört, 
Das Gold hoch aufgespeichert, des Glanz den Menschen bethört; 
Es wechseln mit den Haufen des Goldes die Hallen entlang 
Demanten, Smaragden, Rubinen, dazivischcn nur schmal der Gang.
	        
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