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B. Lyrisch epische Poesie. VII. Poetische Schilderungen.
Schon verblaßt der Abendschimmer
An der hohen Waldburg Trümmer.
9. Vollmondschein
Deckt den Hain;
Geisterlispel wehn im Thale
Um versunkne Heldenmale.
101. Die Landschaft.
Von Ludwig Neuffer. Kleine epische Dichtungen und Idyllen. Stuttgart, 1835.
Hier im wehenden Schatten des Bergwalds, unter den grünen
Laubgewölben durchschreit' ich den Pfad, der schlängelnd sich hinzieht
Zwischen dem niedern Gebüsch und den überhangenden Bäumen.
Dort erhebt, hochragend und schlank, sich die grünende Tanne,
5 Dort breitästig die moosige Eich' und gewaltige Buche,
Dort die Birke mit weißlichem Stamm und wehenden Aesten.
Freundlich durchleuchtet der Strahl der warmen Sonne die Blätter,
Spielt auf verschiedenem Grün und mischt sein Licht zu den Schatten,
Während um Wipfel und Zweig' hinflattern die farbigen Vögel
10 Und den horchenden Wald mit melodischen Stimmen erfüllen.
Balsamdüfte durchwürzen die Luft, ich ziehe den reinen
Aether des Lebens in mich, und in süße Träume der Seele
Wiegt mich die ganze Natur. So geh' ich in stiller Betrachtung
Meinen einsamen Pfad, bis außen der dünnere Wald sich
15 Oeffnet und weit umher die liebliche Gegend in reichster
Fülle der Schönheit und Pracht vor meinen Augen sich aufthut.
Siehe, da liegt im Thale die Stadt, es steigen die Dächer
Neben und über einander empor in verschiedener Richtung,
Wie durch die Reihn der Häuser die kreuzenden Gassen sich ziehen.
20 Majestätisch erhebt sich der Dom in Gothischer Bauart
Mit dem ragenden Thurm und das altertümliche Rathhaus,
Und es schimmern die Spitzen an blitzableitenden Stangen;
Aber mit liebenden Armen umschließt die freundlichen Häuser
Rings die zackige Mau'r, die grauende Zeugin der Vorzeit,
25 Während der sanfthingleitende Strom in Mäandrischer Krümmung
Zieht durchs lachende Thal; er wälzt wie ein fließender Spiegel
Unabsehlich sich fort bis zur schwindenden Grenze der Gegend,
Wo wie ein leuchtender Punkt in'silbernem Duft er verschwindet.
Hoch und kühn ist die Brücke gesprengt mit weiten Gewölben
30 Ueber den Fluß bis zum Thore der Stadt, wo in ewigem Zuge
Menschen wimmeln und eilende Ross' und stäubende Wagen
Neben und gegen einander mit hastigem Treiben und Drängen.
Einige zieht der Gewinn, und Andere lockt das Vergnügen,
Diese besuchen die Stadt und jene das Land in Geschäften,
35 Und ein bewegliches Bild von tausend Gestalten und Gruppen
Wandelt vorüber dem Blick. Dort schlingt der gewaltige Heerweg,
Lustig mit schattenden Bäumen umpflanzt, in Schlangengewinden
Durch die sonnigen Felder sich hin, und am fernen Gebirge
Biegt er, noch kaum erkennbar dem Aug', in den dunkelen Wald ein.
40 Aber das Floß, weitreichend und fest an einander gebunden,
Gleitet in träger Bewegung dahin auf dem Rücken des Stromes,
Und es treiben mit Stangen es fort wetteifernde Männer
Gegen den mittleren Bogen der Brück'; auch schaukeln die Kähne
Emsiger Fischer auf spiegelnder Flut am gebogenen Ufer,