Rudolf Baumbach.
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In der weißen Frauen Zaubergarten
Glänzt der erste Strahl der Morgensonne,
Zittert auf der Silberbrünnlein Wellen.
Langsam öffnen sich die Blumenkelche,
100 Um den Lichtquell wohlig einzuschlürfen.
Spielend schwebt der rotgeäugte Falter
Um die duft'gen Blüten heut wie immer.
Scheuen Trittes, mit gespannter Büchse,
Bleich das Antlitz, doch das Auge glühend,
io5 Schleicht der Trentajäger durch die Büsche,
Duckt sich hinter eine Alpenweide,
Lauernd wie der schwarzgefleckte Bergluchs.
Sieh, da regt sich's unter ihm im Strauchwerk,
Und aus dichten Alpenrosenhecken
110 Schreiten langsam vor die weißen Gemsen,
Zlatorog voran, der goldgehörnte.
Wie aus weißem Marmelstein ein Bildnis
Steht der Gemsbock auf erhabnem Felsstück,
Vorwurfsvoll zum Feind herüber äugend,
ii5 Und der Jäger hebt das Todesrohr.
Rojenice, gute, weiße Frauen,*)
Laßt erschallen eure Warnerstimme,
Scheucht die Gemsen und umhüllt mit dichtem
Nebeltau das Haupt des Unglücksel'gen!
i2o Ach, .es schweigen rings die Felsenwände,
Und die Sonne leuchtet hell und heiler.
Einmal warnen sie, die Unsichtbaren,
Einmal nur, — und dieser war gewarnt.
Krachend fällt der Schuß, es bricht im Feuer
i25 Zlatorog zusammen, und zerstoben
Ist im Augenblick das Eemsenrudel.
Zu der Stelle, wo der Bock gestürzt ist,
Eilt der Jäger mit gewalt'gen Sätzen.
Aber sieh, da hebt der wunde Gemsbock
i3o Sich noch einmal, und indes der Jäger
Hastig wieder seine Büchse lädt,
Deckt sich im Gestein der Schwergetroffne.
Nach dem Schweiß am Boden späht der Weidmann
Aber statt der heißen, roten Tropfen
i35 Sieht er vor sich purpurfarbne Blumen,
Wie er keine noch zuvor gesehn
') Die Schicksalsgöttinnen der Slowenen.