Full text: Für Klasse 2 (neuntes Schuljahr) und die Obertertia der Studienanstalten (Teil 8, [Schülerband])

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So schritt er denn nach einer Weile langsam zurück über die Brücke, 
und im Gehen wiederholte er sich wohl zehnmal immer langsamer und 
nachdenklicher den Vers, und seine Schritte hielten zuletzt wie von 
selber ein, daß er in tiefem Sinnen stehen blieb. Sein Blick senkte 
sich zur Erde. Da sieht er etwas glitzern: — es ist ein funkelneuer 
Groschen! Und wie er sich bückt, ihn aufzuheben, sieht er auf einen 
Schritt voraus noch einen Groschen liegen und weiterfort noch einen 
— und so waren es sechse, dicht aneinander, alle so neu und glänzend, 
wie wenn sie eben jetzt aus der Münze kämen. 
„Sechs neue Groschen in einer Reihe,“ murmelte der Stadtpfeifer 
leise, tiefbewegt, „sechs Groschen — die hat mir unser Herrgott selber 
hierher gelegt, der mich nicht verlassen will — sechs Groschen kostet 
der Laib Brot in dieser teuren Zeit!“ Und dann war es ihm nach 
einem Augenblick wieder unfaßbar, wie er zu dem Gelde gekommen; 
er erschrak vor sich selbst, als habe er's gestohlen; er prüfte fühlend 
und besichtigend im Schein der erleuchteten Fenster eines Hauses, ob 
es kein Blendwerk sei: allein es waren und blieben wirkliche sechs neue, 
blanke Groschen. Es ward ihm aber, daß er hätte weinen mögen wie 
ein Kind, als er beim Hofbäcker eintrat und die sechs glänzenden Groschen 
niedergeschlagenen Auges auf den Tisch legte und mit zitternder Hand 
den Laib Brot dafür hinnahm. 
Jetzt lief er noch viel schneller zum Schlosse zurück, als er vorhin 
nach der Brücke gelaufen war. Er preßte das Brot fest unter den 
Arm, als könne es ihm unversehens wieder davonfliegen. „Da kann 
man wohl auch sagen,“ dachte er bei sich, „der Neunundneunzigste weiß 
nicht, wie der Hundertste zu seinem Brot kommt.“ 
Aber während er so hinter der Stadtmauer her den Berg hinan— 
stieg, klang plötzlich ein leises Wimmern an sein Ohr. Er blieb stehen; 
die Töne schienen vom Boden herauf zu kommen. 
„Was ist das?“ rief er aus. „Heute abend bin ich im Finden 
glücklich! Da liegt ein kleines Kind — in ein paar arme Lumpen 
gewickelt. Wahrhaftig, Gott hat mir nicht umsonst den Zorn ein— 
gegeben, daß ich wie toll in die Nacht hinein laufen mußte!“ 
Und es kam ihn, wunderbar genug, über diesen zweiten Fund fast 
eine größere Freude an als über den ersten, da er in den Lichtschimmer 
des nächsten Fensters trat und ein Papier entzifferte, das bei dem 
Kinde gelegen; darauf stand geschrieben: „Ein arm elendig Weib bittet
	        
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