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Nun macht die Jagd mich dürsten,
Drum thu mir das, Gesell,
Und gieb mir eins zu bürsten
Aus diesem Wasserquell!
11. Der Graf hat sich erhoben;
Er schwenkt den Becher klar,
Er füllt ihn an bis oben,
Hält ihn dem Kaiser dar.
Der schlürft mit vollen Zügen
Den kühlen Trank hinein
Und zeigt ein solch Vergnügen,
Als wär's der beste Wein.
12. Dann faßt der schlaue Zecher
Den Grafen bei der Hand:
„Du schwenktest mir den Becher
Und fülltest ihn zum Rand,
Du hieltest mir zum Munde
Das labende Getränk;
Du bist von dieser Stunde
Des deutschen Reiches Schenk!“
421. Roland Schildträger.
Ludwig Uhland.)
1. Der König Karl saß einst zu Tisch
Zu Aachen mit den Fürsten.
Man stellte Wildbret auf und Fisch
Und ließ auch keinen dürsten.
Viel Goldgeschirr von klarem Schein,
Manch roten, grünen Edelstein
Sah man im Saale leuchten.
2. Da sprach Herr Karl, der starke Held:
„Was soll der eitle Schimmer?
Das beste Kleinod dieser Welt,
Das fehlet uns noch immer.
Dies Kleinod, hell wie Sonnenschein,
Ein Riese trägt's im Schilde sein
Tief im Ardennerwalde.“
3Z. Graf Richard, Erzbischof Turpin,
Herr Haimon, Naims von Baiern,
Milon von Anglant, Graf Garin,
Die wollten da nicht feiern;
Sie haben Stahlgewand begehrt
Und hießen satteln ihre Pferd',
Zu reiten nach dem Riesen.
4. Jung Roland, Sohn des Milon,
sprach:
Lieb Vater! hört, ich bitte!
Vermeint Ihr mich zu jung und schwach,
Daß ich mit Riesen stritte,
Doch bin ich nicht zu winzig mehr,
Euch nachzutragen Euren Speer
Samt Eurem guten Schilde.“
5. Die sechs Genossen ritten bald
Vereint nach den Ardennen;
Doch als sie lamen in den Wald,
Da thäten sie sich trennen.
Roland ritt hinterm Vater her;
Wie wohl ihm war, des Helden Speer
Des Helden Schild zu tragen!
6. Bei Sonnenschein und Mondenlicht
Streiften die klühnen Degen;
Doch fanden sie den Riesen nicht
In Felsen noch Gehegen.
Zur Mittagsstund' am vierten Tag
Der Herzog Milon schlafen lag
In einer Eiche Schatten.
7. Roland sah in der Ferne bald
Ein Blitzen und ein Leuchten.
Davon die Strahlen in dem Wald
Die Hirsch' und Reh' aufscheuchten;
Er sah, es lam von einem Schild,
Den trug ein Riese, groß und wild,
Vom Berge niedersteigend.
8. Roland gedacht' im Herzen sein:
„Was ist das für ein Schrecken!
Soll ich den lieben Vater mein
Im besten Schlaf erwecken?
Es wachet ja sein gutes Pferd,
Es wacht sein Speer, seinSchild undSchwert,
Es wacht Roland, der junge.“
9. Roland das Schwert zur Seite band,
Herrn Milons starkes Waffen;
Die Lanze nahm er in die Hand
Und thät den Schild aufraffen.
Herrn Milons Roß bestieg er dann
nd ritt erst sachte durch den Tann,
Den Vater nicht zu wecken.
10. Und als er kam zur Felsenwand,
Da sprach der Ries' mit Lachen:
„Was will doch dieser kleine Fant
Auf solchem Rosse machen?
Sein Schwert ist zwier so lang als er,
Vom Rosse zieht ihn schier der Speer,
Der Schild will ihn erdrücken.“