Full text: Für die untern und mittlern Klassen (Teil 1, [Schülerband])

„Das ist ein schön Reliquienstück! 
Ich bring' es aus dem Wald zurück, 
Fand es schon zugehauen.“ 
24. Der Herzog Naims von Baierland 
Kam mit des Riesen Stange: 
„Schaut an, was ich im Walde fand! 
Ein Waffen, stark und lange. 
Wohl schwitz' ich von dem schweren 
Druck; 
Hei! Bairisch Bier, ein guter Schluck, 
Sollt' mir gar köstlich munden!“ 
25. Graf Richard kam zu Fuß daher, 
Ging neben seinem Pferde; 
Das trug des Riesen schwere Wehr, 
Den Harnisch samt dem Schwerte: 
„Wer suchen will im wilden Tann, 
Manch Waffenstück noch finden kann; 
Ist mir zu viel gewesen.“ 
26. Der Graf Garin thät ferne schon 
Den Schild des Riesen schwingen. 
„Der hat den Schild, des ist die Kron', 
Der wird das Kleinod bringen!“ — 
„Den Schild hab' ich, ihr lieben Herrn! 
Das Kleinod hätt' ich gar zu gern; 
Doch das ist ausgebrochen.“ 
27. Zuletzt thät man Herrn Milon 
sehn, 
Der nach dem Schlosse lenkte; 
Er ließ das Rößlein langsam gehn, 
Das Haupt er traurig senkte. 
Roland ritt hinterm Vater her 
Und trug ihm seinen starken Speer 
Zusamt dem festen Schilde. 
28. Doch als sie kamen vor das Schloß 
Und zu den Herrn geritten, 
Macht' er von Vaters Schilde los 
Die Zierat in der Mitten; 
Das Riesenkleinod setzt' er ein, 
Das gab so wunderklaren Schein 
Als wie die liebe Sonne. 
29. Und als nun diese helle Glut 
Im Schilde Milons brannte, 
Da rief der König wohlgemut: 
„Heil Milon von Anglante! 
Der hat den Riesen übermannt, 
Ihm abgeschlagen Haupt und Hand, 
Das Kleinod ihm entrissen!“ 
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— 
30. Herr Milon hatte sich gewandt, 
Sah staunend all die Helle: 
„Roland, sag' an, du junger Fant, 
Wer gab dir das, Geselle?“ — 
„Um Gott, Herr Vater, zürnt mir nicht, 
Daß ich erschlug den groben Wicht, 
Derweil Ihr eben schliefet!“ 
422. Die beiden Schwestern. 
(Oskar von Redwitz.) 
1. Es läutet still im Waldesgrund 
Der Engelsgruß zur Ruhestund'. 
Da hört's im Hüttlein, arm und klein, 
Ein altgebücktes Mütterlein; 
Und tief im Forste, hoch zu Roß, 
Die Fürstin hört's im Jägertroß 
Und senkt den Speer und winkt zur Ruh' 
Und horcht so still dem Läuten zu. 
2. Und aus dem Hüttlein wanket bald 
Die Ahne mühsam durch den Wald. 
So achtzig Jahr, da geht sich's schwer, 
Und ohn' Gebet ging's nimmermehr. 
Und hinter ihr in stolzem Hauf 
Zieht schimmernd hehr die Fürstin auf; 
Ein Page schlank den Zelter lenkt, 
Sie trägt gar fromm das Haupt gesentt. 
3. Und müde steht am Felsenhang 
Das Mütterlein und atmet lang, 
Und auf zum Kirchlein tief geneigt 
Sie wohl die hundert Staffeln steigt. 
Und wie sie droben wankt durchs Thor, 
Da reitet hoch die Fürstin vor 
Und neigt voll Zucht zum Pagen sich 
Und wallt hinauf so feierlich. 
4. Das Mütterlein kniet ganz allein 
Verzückt vorm Muttergottesschrein, 
Lallt lächelnd, wie ein Kind mit ihr, — 
O lalle nur, sie laüschet dir. — 
Und durchs Portal die Fürstin wallt, 
Neigt tief die blühende Gestalt 
Und kniet der Witwe nah' zur Seit', 
Und ringsum kniet ihr reich Geleit'. 
5. Es betet wohl das Mütterlein: 
„Ich opfre dir all meine Pein; 
O hilf mir dulden freudiglich, 
Du Schmerzensmutter, bitt' für mich!“
	        
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