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B. Lyrische Poesie. X. Weltliche Lieder.
132. Reiseblatter.
Von Nikolaus Lenau.
a) Die
1. Des Berges Gipfel war erschwungen,
Der trotzig in die Tiefe schaut;
Natur, von deinem Reiz durchdrungen,
Wie schlug mein Herz so frei, so laut!
2. Behaglich streckte dort das Land sich
In Ebnen aus, weit, endlos weit,
Mit Türmen, Wald und Flur, und
wand sich
Der Ströme Zier ums bunte Kleid.
3. Hier stieg es plötzlich und entschlossen
Empor, stets kühner himmelan,
Mit Eis und Schnee das Haupt um¬
gossen,
Vertrat den Wolken ihre Bahn.
b) Das 1
1. Noch immer lag ein tiefes Schweigen
Rings auf den Höhn; doch plötzlich fuhr
Der Wind nun auf zum wilden Reigen,
Die sausende Gewitterspur.
2. Am Himmel eilt mit dumpfem Klange
Herauf der sinst're Wolkenzug.
So nimmt der Zorn im heißen Drange
Den nächtlichen Gedankenflug.
3. Der Himmel donnert seinen Hader;
Auf seiner dunkeln Stirne glüht
Ferne.
4. Bald hing mein Auge freudetrunken
Hier an den Felsen schroff und wild;
Bald war die Seele still versunken
Dort in der Ferne Rätselbild.
5. Die dunkle Ferne sandte leise
Die Sehnsucht, ihre Schwester, mir,
Und rasch verfolgt' ich meine Reise
Den Berg hinab, zu ihr, zu ihr:
6. Wie manchen Zauber mag es geben,
Den die Natur auch dort ersann;
Wie mancher Biedre mag dort leben,
Dem ich die Hand noch drücken kann!
Der Blitz hervor, die Zornesader,
Die Schrecken auf die Erde sprüht.
4. Der Regen stürzt in lauten Güssen;
Mit Bäumen, die der Sturm zerbrach,
Erbraust der Strom zu meinen Füßen;
Doch schweigt der Donner allgemach.
5. Der Sturm läßt seine Flügel sinken,
Der Regen säuselt milde Ruh';
Da sah ich froh ein Hüttlein winken
Und eilte seiner Pforte zu.
133. Nach dem Gewitter.
Von Adolf Friedrich Grafen von Schack.
1. Nun zerreißt des Wetters Dach,
Matt verhallt das Sturmgetose,
Durch die Risse nach und nach
Blickt das Blau, das schleierlose;
Und wie sich der Sternenraum
Auftut bis ans Welteneude,
Falten an der Wolken Saum
Engel zum Gebet die Hände.