Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Klassen und die Secunda höherer Lehranstalten

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Welt sehr wesentliche Unterschiede. In Amerika herrscht eben so sehr die Form 
des Tieflandes vor, wie in Asien die des Hochlandes und die Erhebung des 
Bodens erscheint in der neuen Welt nicht als massenhaftes Plateau, wie in 
Asien, sondern als ein Kettensystem, welches den ganzen Welttheil in seiner 
größten Ausdehnung, der von Norden nach Süden, durchzieht, mit untergeord¬ 
neter Plateaubildung. Wegen dieser Richtung von Norden nach Süden haben 
die Anden und Cordilleren, trotz ihrer großen Ausdehnung in der Länge und 
ihrer bedeutenden Erhebung über das benachbarte Meer, weder einen besondern 
klimatischen noch einen historischen Einfluß. Sie bilden weder natürliche 
Scheiden für die Vegetation, wie Himalaya und Alpen bei ihrer Richtung 
von Westen nach Osten, noch culturhistorische Grenzen, wie es die europäischen 
Alpen lange Zeit zwischen der cultivirten und nicht cultivirten Hälfte unseres 
Erdtheiles waren. Ferner sind in Amerika nicht, wie in der alten Welt 
(namentlich durch die Terrassenlandschaften des Himalaya), Hochgebirgsland 
und Tiefland durch Stufenländer vermittelt, denn die Cordilleren und 
noch mehr Hie Anden haben einen steilen Abfall in die östliche Tiefebene und 
einen noch ungleich steileren Westabfall zum Meere. Auch die Stellung 
des Hochlandes ist in beiden Hemisphären eine wesentlich verschiedene: Asien 
hat ein centrales Hochland, um welches sich nach allen Seiten geräumige 
Tiefländer lagern, welche die reichhaltige, nach allen Weltgegenden hin ver¬ 
breitete Bewässerung durch 14 große Stromsysteme zu einer bedeutenden 
Entwickelung gelangen lassen. Europa hat zwei solcher Quellen-Centra, 
bas eine in seinen Alpen und dem diesen an drei Seiten vorgelagerten (französi¬ 
schen, deutschen und karpatischen) Mittelgebirge, das andere in dem colossalen 
osteuropäischen Tieflande auf dem sog. nordrussischen Landrücken (s. S. 87), der 
vicht weniger als 6 mehr oder minder bedeutende Stromsysteme nach allen 
Richtungen entsendet zum Austausche der verschiedenartigen Erzeugnisse weit 
entlegener Regionen. Ganz anders in Amerika! Da die Cordilleren und 
Anden ein Küstengebirge des großen Oceans und diesem sehr nahe sind, so 
gewinnen im Allgemeinen nur die an der Ostseite derselben entspringenden 
Ströme eine große Entwickelung, und die Abdachung nach dem atlantischen 
Ocean ist in Südamerika die einzige, in Nordamerika wenigstens die vorherr¬ 
schende, während Asien seine Gewässer nach allen Weltgegenden vertheilt und 
der Continent von Europa sogar eine zweimalige Abdachung nach allen Rich¬ 
tungen aufzuweisen hat. 
Obgleich die Ausdehnung der neuen Welt weit geringer ist als die der 
alten, da Asien allein schon größer ist als Amerika, so besitzt doch die neue 
größere, wasserreichere und weiter verzweigte Ströme als die alte. D§r 
Amazonenstrom und der Mississippi nehmen Nebenströme auf, so wasserreich, 
so tief, so breit und lang, daß sie mit dem Hauptflusse um die Ehre der 
Namengebung wetteifern können. 
Auch hat Amerika, besonders im Norden, die größten Landseen der Welt; 
die Gruppe der 5 kanadischen Seen (s. S. 97) enthält die größte vereinigte 
Menge süßen Wassers der sämmtlichen Festlande, ja die Hälfte des gesammten 
süßen Wassers der ganzen Erde. Ueberhaupt herrscht das flüssige Element 
w der neuen Welt vor. Da nun etwa die Hälfte ihrer Länder von der 
Tropensonne erwärmt wird, so erzeugen diese beiden Hauptfactoren einer 
üppigen und kräftigen Vegetation fast eine übermäßige vegetabilische Hülle. 
Anter demselben Parallelkreise, unter welchem Asrika's ausgetrocknete und ver¬ 
sengte Tief- und Tafelländer liegen, erfreut sich Amerika der über 400 Meilen
	        
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