Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Klassen und die Secunda höherer Lehranstalten

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strenge Arbeit verträgt sein Körper nicht. Daher sahen sich die ersten Ent¬ 
decker und eroberungssüchtigen Besitznehmer der neuen Welt bald veranlaßt, 
für die schweren Arbeiten in den Bergwerken und den Plantagen die viel 
kräftigeren und viel abgehärteteren Wilden der alten Welt, die Neger, einzu¬ 
führen. Selten hat der Ureinwohner Amerika's sich über die allerunterste 
Stufe der Civilisation emporschwingen können, und da er sich nicht einmal 
Zu dem Range eines Hirten verstieg, wie die Urvölker der alten Welt, so 
fehlten ihm auch die Hausthiere, welche ihn hätten mit Milch und Fleisch 
nähren; mit Wolle und Häuten kleiden können; daher wurden erst nach der 
Entdeckung Amerika's die Hausthiere der alten Welt dort eingeführt. 
Amerika ist derjenige Theil der Erde, welcher sich allmählich alles Ein¬ 
heimischen, selbst seiner Völkerschaften, Sprachen und Künste entledigt hat; 
seine Jndianerstämme sind fast ganz ausgestorben; seine Kaziken und Inkas 
in Mexico und Peru sammt ihrer alten Cultur sind untergegangen. Es 
hat sich passiv dem europäischen Fremdling hingegeben und mit der europäischen 
Bevölkerung auch die europäische Cultur in sich aufgenommen. Kurz, die 
neue Welt ist eine Verjüngung der alten, Amerika ein verjüngtes Europa 
geworden, wie es scheint, mit de^Bestimmung, eine zweite große Werkstätte 
^er Verarbeitung aller Gaben der Erde und der Völker für die höhern geistigen 
Bedürfnisse des Menschengeschlechts zu werden und also die Entwickelung der 
Eultur, für welche Europa das zweite Stadium war, in ihrem dritten 
Stadium wenigstens theilweise zu übernehmen. 
32. Die Niagarafälle. 
(Nach K. Andrer.) 
Die fünf großen kanadischen Seen bilden die größte Süßwasser- 
Ansammlung aus Erden; man hat sie mit Recht als ein Süßwassermeer be¬ 
zeichnet, denn bei Stürmen schlagen Wellen von der Höhe der Wogen auf 
hem Ocean. Der Obere-See empfängt nicht, wie so viele andere Seen, 
einen großen Strom, sondern wird von vielen Bächen und kleineren Flüssen 
wit krystallhellem Wasser gespeis't. An seinem Südostende fließt er durch 
einen 20 Stunden langen Canal, die schmale St. Mary-Straße, in einer 
Ununterbrochenen Reihe von Stromschnellen und Katarakten, welche keine 
Schifffahrt gestatten, in den unregelmäßig gebildeten Huron-See ab. Dieser 
steht im Nordwesten mit dem Michigan-See in Verbindung, im Südosten 
über mit dem Erie-See, der den Mittelpunkt der Binnenschifffahrt auf den 
Teen bildet. Diesem entströmt an der Nordostecke der Niagara-Fluß 
und ergießt sich nach einem Laufe von 16 Stunden mit einem Gefälle von 
Etwa 330' in den Ontario-See, das kleinste der fünf großen Wasserbecken. 
Die ganze Wasserfülle von 4 mächtigen Binnenseen stürzt in Thurmeshöhe, 
uicht in einer Menge getheilter Cascaden, sondern wie ein Meeresstrom in 
Ewer einzigen Masse herab und ist nur durch eine kleine Insel in zwei Theile 
gesondert. Ringsum erdröhnt ohne Unterlaß die Erde; das Getöse hört man 
auf eine Entfernung von 12 deutschen Meilen. Die Hauptabtheilung des 
Falles, welche auf der kanadischen Seite liegt, das sog. Hufeisen, ist 
Etwa 2100' Fuß breit und 149' hoch. Jenseits der Ziegen-Jnsel, welche 
ungefähr ein Viertel (984') der gesummten Strombreite einnimmt, und 
zu der man über eine hölzerne Brücke gelangt, liegt der 140' breite ameri¬ 
kanische Fall (164' hoch), über den sich eine weit geringere Wasser- 
Pütz, Deutsches Lesebuch. 6. Ausl. 1
	        
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