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Pacific-Effenbahn (1869), welche (710 deutsche Meilen lang) die ganze
Breite des nordamerikanischen Continents überzieht, Höhen von 7000—8000'
übersteigt, um die beiden größten Weltmeere und die entlegensten Theile der
größten Republik mit einander zu verbinden, und der bald andere südlicher
oder nördlicher von der jetzt vollendeten gelegene folgen werden, — das
Alles sind Ereignisse unserer Tage, die auch der Westseite der neuen Welt
eine ganz ungeahnte Bedeutung verleihen. Daher ist das rasche Anwachsen
der Bevölkerung, worin die Union alle Staaten der Welt übertrifft, nicht
mehr auf die der Einwanderung aus Europa zunächst liegende Ostseite beschränkt,
sondern auf der Westseite in fast noch stärkerer Progression fortgeschritten;
St. Francisco hatte im I. 1848 etwa 1000 Seelen, im I. 1870 dagegen
180,000 und heißt mit Recht „die Königin des stillen Meeres". Während
man bei uns Eisenbahnen baut, wo Städte sind, hat der Bau der Pacisic-
bahn gelehrt, daß man im westlichen Nordamerika Bahnen baut, damit Slädte
längs derselben entstehen, denn beim Beginn des Baues war auf der ganzen
(279 deutsche Meilen langen) Strecke von Omaha am Missouri bis Sacra-
mento in Californien keine Spur einer Stadt, ja kaum eine Niederlassung
von weißen Menschen anzutreffen.
54. Chicago.
(Nach I. G. Kohl u. A.)
„Rom wurde nicht in einem Tage gebaut" — aber Chicago, welches
vor drei Jahrzehnten noch ein unbekanntes Dorf war, ist jetzt die fünfte Stadt
Nordamerikas. Außer Karakorum, der großen Zeltstadt, die der Mongolen-
Eroberer Tschiugischan in seinem Mannesalter auf der Stelle schuf, wo er als
Jüngliug die Pferde seines Vaters geweidet hatte, ist noch kein Stück Sumpf,
ein Aufenthalt von Bären und Prairiewölfen, so schneÜ in einen menschlichen
Wohnort für 300,000 Seelen verwandelt worden. Die Natur hat freilich,
mit Ausnahme des schönen Spiegels des Michigan-^ees, den man beständig
im Angesichte hat, für die Schönheit der Stadt wenig gethan und außer
Geschäftsleuten würde Niemand diesen flachen, einförmigen Erdfleck auf einer
baumlosen Steppe zu seinem Wohnorte gewählt haben. Daher ist Chicago
in der Hauptsache eine Handelsstadt und hat sich in ihrer fast beispiellosen,
noch stets fortschreitenden Entwickelung zum ersten Getreide- und Holzmarkte
der Welt erhoben. Wie das russische Odessa, hat es die reichsten Korn¬
provinzen hinter sich, die auf 17 hier mündenden Eisenbahnen (von 500 Meilen
Länge) und verschiedenen Canälen ihre Producte ihr zuführen. Die erste Per-
schiffung von Getreide vor 32 Jahren beschränkte sich auf 78 Bushel Weizen;
im Jahre 1865 betrug die Gcsammtausfuhr von Getreide bereits 47 Millionen
Bushel. Kolossale Gebäude zur- Aufnahme, Abwägung, Durcharbeitung und
Umladung dieses Haupt-Handelsartikels sind an dem Rande des Hafens gebaut,
damit die Schiffe dicht unter den Mauern anlegen, um ihre Ladung zu empfangen.
Die großen Magazin-Kasten oder sog. „Binds", in denen das Getreide bis
zur Verladung aufgespeichert wird, sind oben offene Bretter-Constructionen,
60' tief, mit einer vier- bis fünfmal so großen Kapacität als das Heidelberger
Faß, denn jede soll 50,000 Scheffel Weizen oder mehr fassen. Ueber den
gefüllten Pinds befinden sich in thurmartigen Aufsätzen Wagschalen in der
Form großer hölzerner Behälter, in denen man mehrere hundert Scheffel
auf einmal abwägen kann. Aus diesen strömt dann die abgewogene Quantität