Full text: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

Die Ehre des deutschen Namens war wiedergewonnen, aber nur 
damit um so tiefer empfunden werde, daß nicht erreicht war, was allein 
diese Ehre schützen konnte, das Deutsche Reich. 
Der Tagesbefehl von Belle-Alliance richtete sich ja nur an die 
Preußen, und Preußen war zwar ein großer, berühmter und ehren¬ 
reicher Staat, aber doch nur ein Zufallsstaat, den die Politik, nicht 
das ewige Gesetz der Natur zusammengefügt hatte. Weshalb sollten 
gerade der Ostpreuße, der Schlesier und der Rheinländer zusammen einen 
Staat bilden? Warum nicht der Mecklenburger, Sachse und Hesse? 
Nur mit dem größten Widerstreben hatten sich die Sachsen und die 
Rheinländer 1815 dem preußischen Staate einverleiben lassen; ja Preußen 
selbst hatte die Rheinlande gar nicht gern genommen, sondern hätte 
statt dessen viel lieber ganz Sachsen mit Leipzig und Dresden, das so viel 
näher und bequemer lag, einverleibt. 
Nun aber gar die Bewohner der Mittel- und Kleinstaaten, die 
nicht einmal durch den Ruhm einer großen Vergangenheit und die 
Hoffnung auf eine bessere Zukunft mit ihrem Staatswesen sich ver¬ 
bunden fühlten, die, wenn sie ins Ausland kamen, erlebten, daß man 
sie mit spöttischem Ton nach dem Namen und der Lage ihres „engeren 
Vaterlandes" fragte, von dem man noch nie gehört hatte, die in der 
Stickluft ihres Zwergendaseins die großen Gedanken des öffentlichen 
Lebens überhaupt nicht zu ergreifen vermochten, es sei denn, sie hätten 
sich vorher mit einem grimmigen, leidenschaftlichen Haß erfüllt, einer 
Todfeindschaft gegen das, was nach der sittlichen Weltordnung die mütter¬ 
liche Pflegerin und Hüterin des einzelnen sein soll: den Staat, die 
Gesellschaft, das Vaterland, dem der Mensch durch die Geburt ein¬ 
gegliedert ist. 
Wirtschaftliche Entwickelung, Verkehr, Ausbildung der Kräfte sind 
die Ideen des 19. Jahrhunderts. Wie mußte Deutschland da hinter 
den anderen großen Nationen zurückstehen! Wollte ein Staat einen 
Rheinhafen schaffen, so ließ ihm der Nachbar Steine in den Strom 
hineinwerfen, damit die Schiffe nicht durchkommen konnten. Wollte ein 
Staat eine wohlüberlegte Zollpolitik einführen, so ließ der kleine 
Nachbar auf seinem Gebiet, das mitten hineinsprang, große Schmuggler¬ 
lager bilden. Das sind nicht Anekdoten, sondern wahre und wirkliche 
historische Tatsachen. Mit unsäglicher Mühe brachte man wenigstens 
allmählich einen Zollverein zustande, der noch nicht alle, aber doch 
einen großen Teil der deutschen Staaten umfaßte. Auch der Zollverein
	        
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