Full text: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

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Alle diese Anführungen haben selbstverständlich nur die Regel, nur 
die Verhältnisse in ihren großen Zügen schildern sollen, ganz besonders 
aber die der Mittelmark. Die Mittelmark, im Gegensatz zu den mehr 
oder- und elbwärts gelegenen Landesteilen, war der eigentliche Mischungs¬ 
bottich. Die Verhältnisse forderten dazu auf. Auf dem platten Lande 
war es die Not, in den Städten war es die Gelegenheit, die die 
Menschen ohne sonderliche Rücksicht auf ihre Abstammung zusammen¬ 
führte. Die alten Bürgerfamilien freilich beharrten in ihrer Abge¬ 
schlossenheit und betrachteten den Wendenkietz um kein Haar breit besser 
als ein jüdisches Ghetto, aber dem „Zuzug" gegenüber kamen die alten, 
alles nach Zunft und Rasse sondernden städtischen Traditionen wenig 
oder gar nicht in Betracht, und die „kleinen Leute" taten sich zu¬ 
sammen, unbekümmert um die Frage: wendisch oder deutsch. So lagen 
die Dinge in der Mittelmark, d. h. also in Teltow und Barnim, 
im Ruppinschen, in Beeskow-Storkow, in der Westhälfte von Lebus, 
überhaupt in allen Landesteilen, in denen sich Deutschtum und Wenden- 
tum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es in West 
und Ost. Je mehr nach der Elbe zu, je abgeschlossener hielt sich das 
Deutschtum, weil es ihm leicht gemacht war, sich aus seinen Stammes¬ 
genossen jenseits der Elbe zu ergänzen; umgekehrt, je näher der Oder 
und den eigentlichen slawischen Landen zu, je länger blieb das Wenden- 
tum in Kraft. Jetzt indessen, wenige Stätten abgerechnet, ist es im 
Leben unsres Volkes verschwunden. Es lebt noch fort in der Mehr¬ 
zahl unserer Städte- und Dorfnamen, in dunklen Erinnerungen, daß 
in einzelnen, den Namen eines Wendengottes bis heute festhaltenden 
Lokalitäten (in Jüterbog, in Jütergotz) ein Tempel stand, vor allem 
in den Heidengräbern und Wendenkirchhöfen, die sich allerorten in der 
Mark verbreitet finden. 
Aber es ist charakteristisch, daß eben das einzige, was aus der 
alten Wendenwelt noch zu uns spricht, ein Begrabenes ist. Alles geistig 
Lebendige ist hinüber. Selbst der Aberglauben und die in ihm wur¬ 
zelnden Gebräuche, Sitten und Volksweisen, die wohl dann und wann 
für wendische Überreste gehalten worden sind, lassen sich vielfach auf 
etwas Urgermanisches zurückführen, das, auch vor den Wenden schon, 
hier heimisch war. Mit Sicherheit lebt noch Altdeutsches in den Ge¬ 
mütern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia) und von 
dem Hackelberger Jäger. Aber Radegast und Czernebog sind tot. Das 
Wendische ist weggewischt, untergegangen in dem Stärkern, in dem ger-
	        
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