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während Dorn und der Gerichtsschreiber auf der ihrigen standen und immer
verdrießlicher wurden, wie Leute, die auf den Kaiser von China warten sollen
und wissen, daß er nicht kommt. Dem Aktuar riß endlich der Geduldfaden
ganz und gar. Er gab dem Amtsdiener die Akten und sagte: „Da könnten
wir bis an den jüngsten Tag stehen bleiben, und es käme doch Niemand. Weiß
er was, lieber Dorn? Jetzt bezahlt er mir die Sporteln und mein Tagegeld;
dann sind wir wieder so gut, wie. zuvor." Und der arme Dorn zog abermals
seinen Beutel und seufzte, indem er der Gerichtsperson die blanken Thaler in
die Hand legte: „So muß es gewiß noch keinem Menschen in der Welt ergan¬
gen sein, wie mir!" Schneck aber, der eben den letzten Maulwurfshaufen aus
einander gekratzt hatte, ging mit dem Rechen auf der Schulter vorüber und
sagte, als wenn er mit sich selber spräche: „Es ist halt so!" —
Und im Sommer darauf ließ er sein Haus anstreichen und auf die Wand,
welche der Gasse zugekehrt war, schreiben: „Es ist halt so!" mit großen Frak¬
turbuchstaben, so daß eö der Dorn von seiner Stube aus lesen konnte ohne
Brille und fast lesen mußte, so oft er einen Blick auf das Haus seines Wider¬
wärtigen warf. Es wäre wohl besser gewesen, wenn der Schneck bei der al¬
ten, guten Gewohnheit verblieben wäre und einen Segensspruch, oder ein
Bibelwort, oder eine Einladung für die Armen und Fremdlinge gewählt hätte.
Aber Schneck wollte seine armen Nachbarsleute vollends zu Tode ärgern und
an ihrem Grabe sagen: „Es ist halt so!"
Während Dorn es endlich dahin gebracht hatte, daß er sich von dem Nach¬
bar durch Nichts mehr ärgern ließ und nach und nach die Scharte wieder
auswetzte, welche der Prozeß in sein Vermögen gemacht hatte, auch mit Gottes
Hülfe und Selbstüberwindung so weit gekommen war, daß er für seinen Feind
beten konnte, kam in dem neuangestrichenen Hanse ein Unfall ans den andern.
Zuerst wurden die drei Pferde rotzig, bald daraus, nachdem sie eine Fuhre
Weizen in die Stadt gebracht hatten. Die Fallknechte führten die schönen,
spiegelglatten Rappen sammt dem neuen Geschirre fort und erstachen und ver¬
scharrten sie auf dem Schindanger. Alle Leute schauten durch's Fenster oder
traten an das Hofthor, als die armen Thiere das Dorf heruntergeführt wur¬
den. Aber so viele Gesichter Schneck auch sehen konnte, so bemerkte er doch in
keinem eine Spur von Mitleiden, sondern es war ihm vielmehr, als stünde in
jedem geschrieben: „Es ist halt so!" Und als der Zimmermaun kam, die alten
Dielen nebst der Krippe und der Raufe herausriß und Alles neu machte, war
weder in seiner Miene noch in seinen Worten ein besserer Trost zu finden.
Bald darauf stieg Regina, die jüngere von den zwei Töchtern des Bauern,
in der Scheune bis unter den Dachgiebel hinauf, um ihrem Vater unten in
der Dreschtenne Garben herunter zu werfen. Ein Brett, das nicht angenagelt war,
schnappte unter ihrem Fuße aus, und sie stürzte aus einer Höhe von wenigstens
dreißig Schuh herab. Ohne mehr einen Seufzer auszustoßen, lag sie vor ihrem
Vater. Auch ist der ganzen Scheune regte sich kein Laut. Und doch war es dem
Men, als schnaubte es aus jedem finstern Winkel: „Es ist halt so!" —
Zuletzt nach Allem wurde er selbst krank, wußte aber nicht, wo eö ihm
fehlte, sondern antwortete, wenn man danach fragte: „Ueberall!" Was er sonst