Full text: [Cursus 2, [Schülerband]] (Cursus 2, [Schülerband])

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glühende Rauchsäulen auf, die in einem Blntmeere starrten. Was aber 
dieser großen Scene die höchste Verherrlichung gab, war der aufgehende 
Vollmond; hinter den sich thürmenden und glänzenden Rauchwolken 
stieg er herauf und schien wirklich Aurora zu sein, die den Triumphzug 
der vorgeeiltcn Horen über die Spitze des Berges empfing. Mit 
glühendem Gesicht, wie ein nektartrunkener Gott, trat er auf die ver¬ 
herrlichte Bühne der Nacht. 
Aber vom Gipfel des Berges stürzte der Gluthstrom, und bald hatte 
er den Fuß des Ascheukegels erreicht. Jetzt brach er in die Weingärten 
ein, die schon der Ernte entgegengereift waren. Weiße Flammen loder¬ 
ten auf, wo der Verderber die herrliche, grüne Vegetation ergriff. Oft 
schien er eine Allee zu fassen, deren helle Flamme sich weithin erstreckte 
und über dem rothen Strom als eine weite Lichtmasse schwebte. Hier 
theilte sich der Lavastrom in 5 Arme; 3 zogen östlich, 2 aber westlich; 
und diese nur konnten von uns gesehen werden. Reißend stürzte der 
Erguß weiter und verderbender fort; er umfloß Häuser, deren Ein¬ 
wohner sich kaum noch zu retten vermochten; er füllte die unteren Geschosse 
aus und zerstörte unzählige Landhäuser, Hütten und Weingärten. Der 
prächtige Verwüster ging seinen Weg, den er, wo er sich in Vertiefungen 
verbarg, durch Lichtsäulen entzündeter Bäume bezeichnete. Die beiden 
Arme des Lavastromes, von denen der eine dem anderen bald nachblieb, 
bald voreilte, hatten in kurzer Zeit die Straße erreicht, die durch 
Portici nach Dorre bei Greeo und Pompeji führt. Beide Ströme durch¬ 
schnitten die Straße und wälzten sich in die diesseitigen Villen und 
Gärten, die das Ufer des Meeres begrenzen; hier verlor der eine sich 
unter den Weinhügeln, der andere Strom hingegen stürzte mit ver¬ 
doppelter Wuth dem Meere zu. Bis dahin hatte er einen Weg von 
anderthalb deutschen Meilen zu machen, und schon war er dem Rande 
des Ufers nahe; eine Menge von Zuschauern in Gondeln schwammen 
in der Gegend des Ufers umher, wo die Feuercascäde am Ufer hinab¬ 
brausen mußte. Endlich erfolgte, was erwartet wurde: die Gluthmasse 
stürzte mit lautem Geprassel und Donnergetöse in's Meer; die Wellen 
empörten sich gegen den fremden Gast, Flaminengewühl und Wellen- 
getümmel im fürchterlichsten Aufruhr rasten schäumend vor Wuth durch 
einander. Kochende Wassersäulen und zürnende Flammenspitzen brachen 
aus der Fluth empor, kämpften einander nieder und wiederholten den 
Sturm des wildesten Aufruhrs, bis endlich der Tumult mit leiserem 
und leiserem Zischen endete, ilnd, gleichsam zum Denkmal des geschlos¬ 
senen Friedens, von der erstarrten Gluthmasse sich ein Vorgebirge 
bildete, das tief in's Meer hineintritt. 
Zweiter Brief, den 13. October 1805. Unsere Wohnung 
am Ufer der See wird durch die Aussicht nach dem Vesuv hin, der 
noch immer sein großes Feuerwerk fortsetzt, höchst anziehend. Jedes 
Zimmer hat seinen Balkon. Ich trete auf den mehligen hinckus, sobald 
die Sonne ihren ersten Strahl über den Vesuv in meine Zelle wirft, 
und mich umfängt von allen Seiten in ihrer ganzen Festlichkeit die Fülle 
einer hcsperischen Natur. Dorthin rechts nach Westen das Vorgebirge 
Pausilipp mit seinen Pinienkronen, Cypressen und Landhäusern; links 
das Vorgebirge der Minerva — welche sinnvolle Namen! Jenes die
	        
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