Full text: Für Tertia (Teil 4, [Schülerband])

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Werker gewann. Noch lebte das Landvolk in ohnmächtigem Kampf mit 
den Herden der Wölfe; wenig Dörfer, denen nicht in jedem Winter 
Menschen und Tiere geraubt wurden. Brachen die Pocken aus, kam die 
Pest ins Land, so bedeutete es für die Leute Verödung ihrer Hütten, 
Untergang ganzer Gemeinden; in dumpfer Ergebung erwarteten sie dies 
Geschick. — Es gab kaum eine Rechtspflege im Lande, nur die größeren 
Städte bewahrten unkräftige Gerichte; der Edelmann, der Starost ver¬ 
hängten mit schrankenloser Willkür ihre Strafen, sie schlugen und warfen 
in scheußlichen Kerker nicht nur den Bauer, auch den Bürger der Land¬ 
städte, der unter ihnen saß oder in ihre Hände fiel. In den Händeln, 
die sie untereinander hatten, suchten sie ihre Rache meistens auf eigene 
Faust durch Überfall und blutige Hiebe. 
Es war in der Tat ein verlassenes Land, ohne Zucht, ohne Gesetz, 
ohne Herrn; cs war eine Einöde: auf 600 Quadratmeilen wohnten 
500000 Menschen, nicht 850 auf der Meile. Der König begann in 
seiner großartigen Weise die Kultur des Landes, und Westpreußen wurde 
fortan sein Lieblingskind, das er mit unendlicher Sorge, wie eine treue 
Mutter, wusch und bürstete, neu kleidete, zu Schule und Ordnung zwang 
und immer im Auge behielt. Noch dauerte der diplomatische Streit um 
den Erwerb, da warf er schon eine Schar seiner besten Beamten in die 
Wildnis; wieder wurden die Landschaften in kleine Kreise geteilt, die 
gesamte Bodenflüche in kürzester Zeit abgeschützt und gleichmäßig besteuert, 
jeder Kreis mit einem Landrat, einem Gericht, mit Post und Sanitäts- 
Polizei versehen. Neue Kirchengemeinden wurden wie durch einen Zauber 
ins Leben gerufen, fast zweihundert Schullehrer in das Land geführt, 
Haufen von deutschen Handwerkern geworben, vom Maschinenbauer bis 
zum Ziegelstreicher hinab. Überall begann ein Graben, Hämmern, Bauen; 
die Städte wurden neu mit Menschen besetzt, Straße auf Straße erhob 
sich aus den Trümmerhaufen, die Starosteien wurden in Krongüter ver¬ 
wandelt, neue Kolonistendörfer ausgcsteckt, neue Ackerkulturen befohlen. 
Im ersten Jahre nach der Besitznahine wurde der große Kanal gegraben, 
der in einem Laufe von 26 Kilometer die Weichsel durch die Netze mit 
der Oder und Elbe verbindet; ein Jahr nachdem der König den Befehl 
erteilt, sah er selbst beladene Odcrkähne von 120 Fuß Länge nach dem 
Osten zur Weichsel einfahren. Durch die neue Wasserader wurden weite 
Strecken Land entsumpft und sofort durch deutsche Kolonisten besetzt. 
Unablässig trieb der König, er lobte und schalt: wie groß der Eifer 
seiner Beamten war, sie vermochten selten ihm genug zu tun. Dadurch
	        
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