Full text: [Teil 5 = Klasse 2 und 1, [Schülerband]] (Teil 5 = Klasse 2 und 1, [Schülerband])

Lenau. 
391 
Nikolaus Lenau (Nik. Niembsch Edler von Strehlenau). 
(1802—1850) 
143. An die Melancholie. 
1. Du geleitest mich durchs Leben, 2. Führst mich oft in Felsenklüfte, 
Sinnende Melancholie! Wo der Adler einsam haust, 
Mag mein Stern sich strahlend heben, Tannen starren in die Lüfte 
Mag er sinken: — weichest nie. Und der Waldstrom donnernd braust. 
3. Meiner Toten dann gedenk' ich; 
Wild hervor die Träne bricht, 
Und an deinen Busen senk' ich 
Mein umnachtet Angesicht. 
144. Der Seelenkranke. 
1. Ich trag' im Herzen eine tiefe Wunde 
Und will sie stumm bis an mein Ende tragen; 
Ich fühl' ihr rastlos immer tiefres Nagen, 
Und wie das Leben bricht von Stund' zu Stunde. 
2. Nur eine weist ich, der ich meine Kunde 
Vertrauen möchte und ihr alles sagen; 
Könnt' ich an ihrem Halse schluchzen, klagen! 
Die eine aber liegt verscharrt im Grunde. 
3. O Mutter, komm, last dich mein Flehn bewegen! 
Wenn deine Liebe noch im Tode wacht 
Und wenn du darfst, wie einst, dein Kind noch pflegen, 
4. So last mich bald aus diesem Leben scheiden! 
Ich sehne mich nach einer stillen Nacht; 
O, hilf dem Schmerz dein müdes Kind entkleiden! 
145. Bitte. 
1. Weil'auf mir, du dunkles Auge, 
Übe deine ganze Macht, 
Ernste, milde, träumerische, 
Unergründlich süste Nacht! 
2. Nimm mit deinem Zauberdunkel 
Diese Welt von hinnen mir, 
Dah du über meinem Leben 
Einsam schwebest für und für.
	        
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