Lenau.
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Nikolaus Lenau (Nik. Niembsch Edler von Strehlenau).
(1802—1850)
143. An die Melancholie.
1. Du geleitest mich durchs Leben, 2. Führst mich oft in Felsenklüfte,
Sinnende Melancholie! Wo der Adler einsam haust,
Mag mein Stern sich strahlend heben, Tannen starren in die Lüfte
Mag er sinken: — weichest nie. Und der Waldstrom donnernd braust.
3. Meiner Toten dann gedenk' ich;
Wild hervor die Träne bricht,
Und an deinen Busen senk' ich
Mein umnachtet Angesicht.
144. Der Seelenkranke.
1. Ich trag' im Herzen eine tiefe Wunde
Und will sie stumm bis an mein Ende tragen;
Ich fühl' ihr rastlos immer tiefres Nagen,
Und wie das Leben bricht von Stund' zu Stunde.
2. Nur eine weist ich, der ich meine Kunde
Vertrauen möchte und ihr alles sagen;
Könnt' ich an ihrem Halse schluchzen, klagen!
Die eine aber liegt verscharrt im Grunde.
3. O Mutter, komm, last dich mein Flehn bewegen!
Wenn deine Liebe noch im Tode wacht
Und wenn du darfst, wie einst, dein Kind noch pflegen,
4. So last mich bald aus diesem Leben scheiden!
Ich sehne mich nach einer stillen Nacht;
O, hilf dem Schmerz dein müdes Kind entkleiden!
145. Bitte.
1. Weil'auf mir, du dunkles Auge,
Übe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süste Nacht!
2. Nimm mit deinem Zauberdunkel
Diese Welt von hinnen mir,
Dah du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.