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Die Lebensweise der Äunnen. Die alten Germanen. 59
einanderzunehmen und wieder aufzuschlagen, nicht mehr ein bloßes
Wanderzelt und ein von läuten und einem Zelte bedeckter Wagen;
doch konnte es jederzeit noch auf den Wagen gehoben und davongefahren
werden. So hatten die Cimbern ihre Läufer mit sich geführt, und ein
Gleiches taten noch im vierten Jahrhundert die wandernden Goten. So¬
wie sie sich in ihren heutigen Sitzen niedergelassen hatten, nahm die
Wohnung eine andere Gestalt an. Wir dürfen sie uns als Blockhaus
denken, ursprünglich allem Anschein nach von gleicher Grundform. Als
Baumaterial dienten Lolzstämme, an deren Stelle wohl hie und da
auch Fachbau mit Flechtwerk und Lehm trat. Bedeckt war das Laus
mit Stroh oder Schilf, die man im Winter mit Dung belud. Zn dem
Lauptraume des Laufes war im Hinteren Mittelgrund der Lerd, zu¬
gleich der älteste Altar, angebracht, auf dem das Feuer niemals er¬
losch. Äber ihm hing der große Kessel an einem Seile, das von einem
drehbaren Gerüste herablief. Der Rauch zog durch eine Dachöffnung
ab, die den Schornstein sowie die Fenster ersetzte, so daß das Tages¬
licht den halbdunklen Raum niemals völlig zu durchdringen vermochte.
Gerade über dem Lerd, nahe am Firstbalken angebracht, war das
Rauchloch, nicht größer als ein mäßiges Fenster; es pflegte im Sommer
und bei gutem Wetter offen zu stehen. Viel Lausrat gab es in einer
solchen Stube nicht. Zn der Nähe des Lerdes, dem Laupteingange
gegenüber, erhob sich der Lochsitz des Lausherrn auf einigen Stufen;
hier stand die Laupttafel; auf den Bänken um sie herum nahmen die
geehrtesten Gäste Platz; an den anderen Seiten der Lalle zwischen den
Pfeilern standen ebenfalls Bänke oder Einzelstühle und Einzeltische für
andere Gäste. Linter den Bänken waren in der Regel die Schlafver-
schläge angebracht. Manchmal war das Gehöft auch um einen riesigen
Baumstamm gezimmert, der feine Wipfelzweige durch das Dach hinaus
in die Wolken streckte. Zn Kellern unter der Erde, die eine Zuflucht
gegen die Winterkälte boten und auch dem Webstuhl der Frauen noch
Raum ließen, barg man Früchte und anderen Vorrat sowie die geringen
Schätze, wenn man vor den Feinden waldeinwärts floh. Wo nicht
alles unter einem mächtigen Dache sich vereinigen ließ, halfen Stall und
Scheuer aus, die neben dem Wohnhaus errichtet waren.
Die Römer, die gewöhnt waren, in größeren Städten zu wohnen,
fanden so in Germanien eine andere Art des Daseins, die ihnen un¬
begreiflich erschien. Es gab keine Städte, am wenigsten befestigte, und
keine zusammengehäuften Menschenmassen. Linter den Mauern wurde
der Germane von einem Gefühl der Angst und der Beklemmung er¬
griffen wie das edle Wild, das man in Gruben oder Netzen eingefangen