Full text: [[Abteilung 1] = Abteilung für Tertia und Untersekunda in einem Bande, [Schülerband]] ([Abteilung 1] = Abteilung für Tertia und Untersekunda in einem Bande, [Schülerband])

Curtius: „Die olympischen Spiele". 
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Sieg im Hippodrom als ein begehrenswertes Ziel. Zu diesem herrlichsten 
der Schatispiele fiillten sich ain vierten Festtage die langen Stufenreihen zu den 
Seiten der Rennbahn. Die Wagenstände wurden verlost; vor jedem Wagen¬ 
stande war ein Seil gezogen, hinter welchem die Renner ungeduldig den Boden 
stampften. In der Nähe saß aus einem Altare ein eherner Adler, welcher, in 
die Luft steigend, den ersehnten Ansang des Spieles verkündete. Gleichzeitig 
senkte sich ein Delphin, der aus einem Querbalken lag, ein Sinnbild des 
reisigen Meergottes. Dies war das Zeichen für die Reiter und Wagenlenker; 
denn unmittelbar darauf wurden die Seile vor den Wagenständen fortgezogen. 
Nun tauchten die Gespanne paarweise vom Hintergründe her vor den Augen 
des Bolkcs hervor und bildeten beim Beginne der Bahrt eine prächtige, unauf¬ 
haltsam stürmende Wagenreihe. Es kam aus der breiten Bahn, welche ein 
Biergespann mit ausgewachsenen Rossen zwölsmal durchmessen mußte, alles 
darauf an, einerseits die kürzesten Fahrten zrr machen und möglichst nahe an 
der Zielsärrle mit dem linkslaufenden Pferde herumzulenken, andererseits aber 
dem aus dieser Linie sich zusammenschiebenden Wagengedrärrge vorsichtig aus¬ 
zuweichen. Die Zuschauer verfolgten mit Angst und Jubel die rasch sich voll¬ 
endenden Ereignisse des ergreifenden Schauspiels, bis sie mit lautem Beifalls¬ 
stürme den Glücklichen begrüßen konnten, den des Herolds Stimme ausrief. 
Der Sieger wurde von seinen Angehörigen und Landsleuten umringt, von den 
anwesenden Hellenen begleitet; der festliche Zug bewegte sich nach dem Eingangs¬ 
tor und zum Tempel des Zeus; denn hier zu den Füßen des Gottes standen 
die Sessel der Kampfrichter; hier stand der heilige Tisch, aus welchem die frisch¬ 
geschnittenen Kränze des Ölbaumes lagen; vor den Augen des Zeus wurde des 
Siegers Haupt geschmückt, wurde die Palme in seine Hand gegeben, während 
die Versammlung in den Hallen und aus den Galerien heilige Lieder anstimmte. 
Dann brachte der Sieger sein Dankopfer am Altare des Zeus dar und wurde 
mit seinen Siegesgenossen als Gast des olympischen Gottes am Herde des 
Heiligtums bewirtet. 
Die Masse des Volkes aber lagerte sich vor der Altis zwischen 
wohlversorgten Meßbuden int Freien oder unter Zelten, und beim Lichte 
des Mondes erschallte die ganze Flur von Siegesgesängen. Hier schlossen 
sich neue Freundschaften, hier begegneten sich alte Gastfreunde; hier erzählte 
jeder von den Wundern seines Landes und seiner Stadt, alle griechischen Mund¬ 
arten tönten durcheinander; es war das bunteste Treiben eines südlichen Jahr¬ 
marktes. Damit die Gestalt der Sieger nicht nach flüchtigem Eindrücke ans 
dem Gedächtnisse der Hellenen wieder verschwinden möchte, wurden sie im Erz¬ 
gusse dargestellt, kommenden Geschlechtern zur Erinnerung und zur Nacheiferung; 
wer dreimal gesiegt hatte, durfte in ganzer Größe dargestellt werden. Diese 
Bildsäulen wurden wohl häufig vervielfältigt, um auch in des Siegers Vater¬ 
stadt aufgestellt zu werden, sowie sich auch an die Festfreude Olympias noch 
eine Nachfeier bei des Siegers Heimkehr anschloß. Man riß die Stadtmauern 
ein, um seinem Wagen Bahn zu machen; ein unabsehbarer Zug schloß sich an, 
in dem der Sieger im Purpurgewande voranfnhr und die Festgenosseu durch die 
Hauptstraßen zu dem Tempel der stadthütenden Gottheit führte; ihr wurde das 
Öpser des Dankes dargebracht, und der schönste Schmuck des Tages war das
	        
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