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123. Der Zug des Todes.
Über die Heide beim Morgengraun
wandert ein Zug gar seltsam zu schaun.
voran der hagre Knochengesell:
wie tönt seine Glocke hart und grell.
Sie schallt über pfeifen- und Geigengetön
und durch des Krieges vonnergedröhn.
Und wer sie hört, der muß hinteran,
und sei es Kind, Greis, Weib oder Mann.
Rde, du rosiges Iungfräulein!
Du tanztest heute den letzten Reihn.
Nimm Rbschied, du junger Kriegsgesell,
es ist dir schon bereitet die Ztell'.
Unschuldige Kinderlein ziehen voran,
die Ulten humpeln hinterdran.
vorüber unabsehbar viel —
sie wandern alle nach einem Ziel.
Mit Rügen groß und starr und weit —
die schaun schon in die Ewigkeit.
Über die Heide beim Morgengraun
wandert ein Zug, gar seltsam zu schaun.
Lr wandert, seit die Menschheit besteht,
und wandern wird er, bis sie vergeht.
Bis einst die Glocke nicht mehr klingt,
kein Baum mehr rauscht, kein Vogel singt.
Bis Erdenlust und Erdenleid
versunken in die Ewigkeit.
Heinrich Seidel.
124. Die steinerne Blume.
Blauer, deutscher Zommermorgenhimmel.
hoch von berggelegner Wallfahrtskirche
schreit' ich, stillen Jubel in dem herzen,
durch das früchteschwellende Gelände
nieder in das sonnbeglänzte Flußtal.