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Sollte aber keine Pension von dein Herzoge gegeben werden und der
Verkauf der Sachen Sie nicht zu lange aufhalten, so könnten Sie vielleicht
mit den Schwestern gleich nach Meiningen reisen und würden sich dort in
60 der neuen Welt um so eher beruhigen.
Alles, was Sie zu einem gemächlichen Leben brauchen, muß Ihnen
werden, beste Mutter, und es ist nun hinfort meine Sache, daß keine Sorge
Sie mehr drückt. Nach soviel schwerem Leiden muß der Abend Ihres Lebens
heiter oder doch ruhig sein, und ich hoffe. Sie sollen im Schoße Ihrer Kinder
6b und Enkel noch manchen frohen Tag genießen. Alles, was unser teurer Vater
an Briefschaften und Manuskripten hinterlassen, kann mir durch Christophinen
mitgebracht werden. Ich will suchen, seinen letzten Wunsch zu erfüllen, der
auch für Sie, liebste Mutter, Nutzen bringen soll.
Herzlich umarmen wir Sie und die lieben Schwestern. Meine Lotte
70 würde selbst geschrieben haben, aber wir haben heute das Haus voll Gaste,
und in dieser Zerstreuung war's unmöglich. Sie hat mit mir den verewigten
Vater, den sie immer recht herzlich geliebt, beweint, und ihr tiefer Anteil an
diesem Verluste hat sie mir noch lieber und teurer gemacht. Auch meine
Schwiegermutter und Wolzogens, die gerade hier sind, sind sehr davon gerührt
75 worden und lassen tausendmal grüßen.
Ihr ewig dankbarer Sohn
F. Sch.
Friedrich von Schiller. Briefe. Heraiisgezebeii von Fritz Jenas. B. Y. S. 68 ff.
Z. 37 f. Schillers ältere Schwester Christophine, verheiratet mit dem Bibliothekar
Reinwald in Meiningen, war zur Pflege ihrer kranken Angehörigen nach der Solitüde bei
Lndwigsbnrg gekommen; Luise war Schillers jüngere Schwester. Z. 67. Der Vater hatte
aus dem Sterbebette den Wunsch geäußert, der Sohn möge den zweiten Teil seines Werkes
(„Die Baumzucht") herausgeben; doch scheint dieser nicht erschienen zu sein.
28. Eine Winternacht aus der Lokomotive (vor 30 Jahren).
1. „Wer fährt heut' den Nachtschnellzug?" fragte der Inspektor, kurz
vor Mitternacht aus der Thüre seines behaglichen Kabinetts in die Abfahrts¬
halle zu Mvorstedt heraustretend, in die ein schneidender Nordostwind feines
Schneegestöber hereinwehte und die lange Reihe der Gasflammen bald auf-
5 flackern ließ, bald halb verlöschte. Der Schnellzug stand vor dem breiten,
stattlichen Bahnsteige, die Thüren der wenigen eleganten Wagen erster und
zweiter Klasse, aus denen der Zug bestand, waren geöffnet und ließeil in dem
matt beleuchteten Jmiern der Coupes die lvunderlichen Pelz- und Falten¬
massen halb erkennen, welche die Sitze der Nachtschnellzüge im Winter erfüllen,
10 und ans denen nur hie und da eine rotgefrorene Nase oder ein atmender
Mund hervorschaut und noch seltener das verschlafene, um sich blinzelnde
Gesicht eines erwachenden, verdrossenen Fahrgastes sich erhebt, der im Zweifel,
ob er sich in Prag, Dresden oder Hannover befinde, den Schaffner nach
Zeit, Ort und dem Grunde fragt, warum so lange gehalten werde. Nur
15 wenige Reisende hatten am Orte den Zug verlassen, noch weniger waren
dazu gekommen, nur hier und da schob sich eine dunkle, dick vermummte Ge¬
stalt mühsam durch die Wagenthür, während die Handkarren mit nerven-