Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

550 V. Abschnitt. Der Mensch im Verkehr mit seinesgleichen. 
in die Ferne. Wir hatten recht gesehen; es waren die Kosaken, die lustig 
auf dem Sande schwärmten und sich der Festung immer kecker nahten. 
Ob wir hier Zeugen des ersten Schusses wurden, der aus der Stadt 
fiel, oder ob meine Phantasie die Erzählung anderer zum eigenen Er¬ 
lebnis umgeprägt, kann ich nicht sagen; doch glaube ich gesehen zu haben, 
wie einer der Kosaken, nahe an die Pallisaden heranreitend, auf den 
Knall einer Flinte baumelte und dann tot vom Pferde fiel, das ruhig 
neben ihm stehen blieb. Plötzlich aber war er wieder lebendig, sprang 
in den Sattel, schwenkte seine hohe Mütze gegen seine Mörder und jagte 
dann zurück zu seinen Kameraden. Dies Stückchen gefiel uns dermaßen 
wohl, daß wir es nachher, um es Margareten und anderen anschaulich 
zu machen, des öfteren wie eine Komödie aufgeführt haben. Ich kam auf 
einer Fußbank angesprengt, mein Bruder feuerte hinter dem Holzkorb vor, 
und dann geschah alles so wie dort. 
An demselben Morgen sahen wir aus unseren Fenstern, wie zwei 
schlanke, hechtblaue Sachsenlieutenants einen kleinen, stämmigen Kosaken¬ 
offizier mit verbundenen Augen vorüberführten. 
„Sie haben ihm ins Gesicht geschossen," sagte mein Bruder ruhig, 
„und ihn dann gefangen." 
Aber der Vater belehrte uns, daß das ein Parlamentär sei, den 
man zum Kommandanten führe. Ich sah den kleinen, straffen Parla¬ 
mentär mit so lebhaftem Interesse an, daß er mir mit seinen festen, kurzen 
Schritten, seinem breiten Nacken und der stolzen Haltung seines verbun¬ 
denen Kopfes noch heute ganz lebendig vor den Augen steht. Nach 
einigen Stunden verbreitete sich die sehr willkommene Nachricht, daß die 
Neustadt am folgenden Morgen übergeben werden solle. 
Nächsten Tags in aller Frühe zog denn auch die sächsische Besatzung 
ab, während sich unsere Neustädter Honoratioren am schwarzen Thor 
versammelten, um die Kosaken zu empfangen. Diese, geführt vom Obristen 
Brendel, etwa 800 Mann stark, zogen in guter Ordnung ein und machten 
unweit des Thores auf dem damals noch freien Platze zwischen Kirche 
und Kaserne Halt. Auch mein Vater war mit uns Knaben hingegangen. 
„Das sind deine Landsleute,"*) sagte er, in welcher Bezeichnung 
für mich eine Aufforderung zu ungemessener Zärtlichkeit lag. Gern hätte 
ich wenigstens einigen die Hand gedrückt, da ich's nicht allen konnte, 
wenn mein Vater mich nicht an der seinigen festgehalten und die strenge 
Haltung dieser milden Krieger mir nicht einiges Bedenken eingeflößt hätte. 
Inzwischen dauerte die anfängliche militärische Erstarrung des jovialen 
Kosakenvölkchens nicht allzulange. Was irgend Beine hatte in der Neu¬ 
stadt, war nach dem Thore geeilt, und von allen Seiten drängten die 
Bürger mit freudigem Zuruf auf ihre Befreier ein. Diese Russen waren 
als Feinde der Franzosen teure Freunde und Gesinnungsgenossen; sie 
wurden wie Brüder empfangen, und enthusiastisches Jauchzen erfüllte den 
Platz. Der Branntwein strömte; jeder hatte ihn mitgebracht, und jeder 
wollte der Erste sein, den langersehnten Barbaren den Hals damit zu 
füllen. Halb zog man sie, halb sanken sie im Freudentaumel aus den 
*) Kügelgen, der dies erzählt, ist in Petersburg geboren, und seine Mutter war 
eine Esthlünderin.
	        
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