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Lichtgestalten
Dein Wanderkleid nur ist's, der Seele Hülle
10 Bis diesen Tag —
Die Fessel, drin so lang des Wesens Fülle
Gefangen lag.
Der Staub zum Staub! Die Hülle muß. zerstieben
Wie welkend Heu —
iß Du aber, den wir kennen, den wir lieben,
Lebst und bist frei! Sulu von Strauß und Tornay.
125. Lichtgestalten.
Sahst du noch nicht
um Sonnenuntergang
Gestalten,
goldumleuchtete,
5 droben in den
schwebenden Landen?
Was von erhabenen
Seelen Ewiges
aus dem Vergänglichen
io aufwärts stieg:
Siehe, so wandelt
in leuchtenden Höhen
segnend es
über den Suchenden hin
und zu seines Volkes
Lichtkindern
blickt der Amdunkelte
dankbar auf. Ferdinand Avenariut.
126. Oft in der stillen Nacht.
1. Oft in der stillen Nacht,
Wenn zag der Atem geht
And sichelblank der Mond
Am schwarzen Himmel steht,
2. Wenn alles ruhig ist
And kein Begehren schreit,
Führt meine Seele mich
In Kindeslande weit.
3. Dann seh' ich, wie ich schritt
Anfest mit Füßen klein
And seh' mein Kindesaug'
And seh' die Hände mein
4. And höre meinen Mund,
Wie lauter, klar er sprach,
And senke meinen Kopf
And denk' mein Leben nach!
5. Bist du, bist du allweg
Gegangen also rein,
Wie du gegangen bist
Auf Kindesfüßen klein?
6. Hast du, hast du allweg
Gesprochen also klar,
Wie einstens deines Munds
Lautleise Stimme war?
7. Sahst du, sahst du allweg
So klar ins Angesicht
Der Sonne, wie dereinst
Der Kindesaugen Licht?
8. Ich blicke, Sichel, auf
Zu deiner weißen Pracht;
Tief, tief bin ich betrübt
Oft in der stillen Nacht.
Otto Julius Bierbaum.