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höheren, himmlischen enthüllt es ihm seinen tiefsten Zinn und bleiben¬
den wert, was des Dichters Mund als den Standpunkt der von der
himmlischen Vollendung aus auf die irdischen Dinge zurückschauenden
Seele bezeichnet: „Ulles vergängliche ist nur ein Gleichnis" — bei
ihm trifft es schon auf Erden, schon von Jugend auf zu: so allgewaltig,
allbeherrschend ist in seinem Geiste das Göttliche und Ewige, daß alles
irdische wahrnehmen sich ihm umsetzt in die sinnbildliche Anschauung
und Veranschaulichung himmlischer Wahrheit. rDiIIibal5 Uschlag.
2. Das Christentum, das Evangelium der tätigen Liebe.
„Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset- ich bin
durstig gewesen, und ihr habt mich getränket; ich bin ein Gast ge¬
wesen, und ihr habt mich beherbergt,- ich bin nackend gewesen, und
ihr habt mich bekleidet,- ich bin krank gewesen, und ihr habt mich be¬
suchet,- ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.
Denn was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern,
das habt ihr mir getan."
Diese Worte Jesu haben in seiner Gemeinde mehrere Generationen
hindurch so hell geleuchtet und so kräftig gewirkt, daß man die christ¬
liche Missionspredigt auch als predigt der Liebe und Hilfeleistung be¬
zeichnen kann. Ja, von hier aus erscheint die Verkündigung vom
Heiland und von der Heilung nur als ein Ausschnitt, wie denn auch
die Worte: „Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besuchet," ein
Glied in jener Kette von Sprüchen sind.
Unter den überlieferten Worten und Gleichnissen Jesu sind die,
welche zu Liebe und Hilfeleistung ermahnen, besonders zahlreich, und
auch manche Erzählungen von ihm gehören hierher. Uber jene Worte
mögen noch zahlreicher oder spärlicher sein — daß die Ermahnung zur
Brüderlichkeit und zur dienenden Liebe der Kern seiner predigt gewesen
ist, so oft sie das Verhältnis von Mensch zu Mensch ins Auge faßt,
steht fest, und daß er selbst diese Brüderlichkeit und dienende Liebe
in sich und seinem wirken dargestellt hat, war das Sicherste in dem
Eindruck, den er hinterlassen hat. „Liner ist euer Meister,- ihr alle
aber seid Brüder." „welcher unter euch will der vornehmste werden,
der soll aller Unecht sein: denn auch der Menschensohn ist nicht ge¬
kommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein
Leben zur Bezahlung für viele." So sollte das Gebot der Nächsten¬
liebe verstanden werden, wie schrankenlos es gilt, zeigt der Spruch:
„Liebet eure Zeinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die
euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen- auf daß
ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel,- denn er läßt seine Sonne
aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über
Gerechte und Ungerechte." „Selig sind die Barmherzigen," ist der