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besonders in gewissen Beleuchtungen, seit dem alten Homer unzähligen
Menschen gefallen, Wie viele Hunderttausende treibt es alljährlich in
die Ulpen, an den Nhein, nach Italien! Ja, es gibt ganz eng be¬
schränkte Gebiete, von denen wir und viele andere mit uns das sichere
Gefühl haben: sie sind schöner als andere, sie gehören überhaupt
zum Schönsten. Wer, der je dort gewandert, rechnete nicht Berchtes¬
gaden, Partenkirchen, Interlaken dazu? Und wir sind alle einig dar¬
über, daß es nur wenige solche Grte gibt. Ja, es sind Kenner der
Hochgebirge der Lrde, die behaupten, daß die Jungfrau der unver¬
gleichlich schönste aller Berge sei, und die Japaner stellen ebenso hoch
ihren heiligen Fudschi pama. Nicht bloß die Japaner haben ihren
Fudschi pama von hundert verschiedenen Standpunkten und unter tausend
verschiedenen äußeren Verhältnissen aufgenommen - der Erdbebenforscher
Milne bekennt, ihn von 26 verschiedenen Punkten aus photographiert
zu haben. Ls ist hier wie bei der Kose: die halboffene Blüte, in
deren Inneres hinein das milde Nosenrot sich wie in eine glühende
Nacht vertieft, aus der ein Tautropfen leuchtet, ist ein Gipfel der
Schönheit so gut wie die Jungfrau.
Wenn ich mich nun frage, welcher Nrt mein Wohlgefallen an diesen
Dingen der Natur sei, so finde ich, daß mein erstes Gefühl gegenüber
einer großen Natur das der Freude an der Nufnahme eines Bildes ist,
durch das ich mich bereichert, aber auch überwältigt fühle. Das ist
der Augenblick des verstummens beim Betreten eines Berges mit weiter
Nussicht, vergleichbar dem verstummen eines Kindes angesichts eines
großen Geschenkes. Ls ist auch etwas wie Erschrecken oder Betroffen-
werden darin. Ihm folgt dann erst die Beschäftigung mit den Einzel¬
heiten: Ich habe die dunkle Wand des Waldes erblickt und mich an
ihrem Gegensatz zu der lichten Wiese und ihren an eine Wolkenwand
erinnernden Umrissen erfreut- nun folgt der versuch, die Gestalten
der einzelnen hervorragenden Bäume zu unterscheiden, an den sich
vielleicht schon die Frage anschließt: Sind es Lichen, Ulmen, Silber¬
pappeln? So strebe ich auf dem Berge nach der deutlichen Wahr¬
nehmung hervorragender Bergformen und suche sie dann vielleicht nach
der Karte zu bestimmen. In dem ersten Eindruck war also ein Ganzes,
eine Einheit, in dem zweiten löst sich dieses in. eine Mannigfaltigkeit
auf, oder vielmehr wir selbst lösen es auf; wir schaffen daran mit,
aus dem großen Ganzen schöne Teile zu gestalten. Und wenn wir
dann von unserm hohen Punkte herabsteigen oder den Waldpfad dahin¬
schreiten, ist es nicht wieder ein Ganzes, was wir mit fortnehmen?
Wir tragen das Gefühl, das diese Bilder in uns erweckt haben, mit
uns: die Stimmung. Und so begannen also unsere Eindrücke mit einem
Ganzen und endigen damit. Dazwischen aber liegt ein Leben und
Schaffen in uns selber,- und die Eindrücke sind tiefer, reicher geworden
durch uns.