Full text: Prosaband (Teil 9 der Ausgabe A, Teil 6 der Ausgabe B, [Schülerband])

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„Sie gefällt dir, die Lena?" sprach die Juliana weiter, ohne 
Heftigkeit, ehrlich und gerade. 
„Lin braves Mädchen ist sie," sagte der Bruder, „einen rechten 
Mann mag ich ihr gönnen." 
„Du brauchst aus mich nicht zu schauen, wenn du sie willst!" sagte 
die Juliana. 
va lächelte er fast. „Das ist jetzt recht, daß wir davon reden," 
sagte er, „siehst, sobald du es gesagt hast, weiß ich auch schon, daß es 
nicht sein kann." 
„wenn du sie doch gern hast," warf die Juliana ein. 
„Gern?" wiederholte er. „vielleicht hat mir einmal so sein wollen. 
Jetzt ist es wie ein Nebel vergangen. Im Leben gehören du und ich 
zusammen, niemand dazu!" 
Nachher stand der starke Mensch auf und tat sein Tagwerk weiter, 
als ob nichts geschehen wäre. Oer Lena war er ein guter Meister, 
bis ein junger Bauer sie als sein Weib aus seinem Hause holte, er 
selber war ernsthaft und zufrieden; an dem Tage, an dem die Lena 
Hochzeit hielt, meinte er zur Schwester, mit der er über dem Essen 
saß: „Stoß an, Juliana! Huf der Lena ihren Haushalt und den unsern!" 
Lin Jahr danach, als ein alter und angesehener Mann im Hause 
der Geschwister zu Gast war und sie gutmütig schmälte, daß sie beide 
noch immer ledigen Standes seien, gab der Gerold wiederum im Bei¬ 
sein der Schwester diesen Bescheid: „wer heiraten will, muß Freude 
haben, immer vor sich zu sehen in die Zukunft und das, was sie bringen 
will,' wir zwei, die Juliana und ich, müssen zu viel rückwärts schauen 
in das, was gewesen ist!" Dabei reichte er der Schwester die Hand, 
und einen Augenblick standen die hohen Menschen mit fast strengen 
Gesichtern nebeneinander. Irgendwie gingen dem Gast die Worte aus,- 
er mußte die beiden, die sich rasch wieder in ihr gleichmäßiges Wesen 
zurückfanden, fast andächtig ansehen: sie waren einander wie an¬ 
geschmiedet ! 
Der Gerold und die Juliana heirateten nicht. Sie lebten zusammen; 
die vom wildberg, und nicht nur die, zogen die hüte tief vor ihnen, 
obwohl ihre Nrt bäurisch war wie die aller. Ls lag etwas Ndliges 
in der Nuhe, der Zufriedenheit, der Ausgeglichenheit ihres Lebens. 
Je älter sie wurden, desto mehr zogen sie sich in ihr großes Haus 
zurück. Der Zopp verkaufte seinen Landbesitz und entließ seine Unechte. 
Nllmählich wollte ein und der andre Dörfler über die schrullenhafte 
Nrt, wie Bruder und Schwester sich selbst genügten, lächeln; aber der 
Spott kam nicht aus vor der seltsamen würde, die über ihnen lag, 
wo immer sie unter die Leute traten. Nls der Gerold starb, der bis 
in die letzten Tage ein noch immer starker Mann mit wallendem, grauen 
Bart und wetterharten Zügen gewesen war, schloß sich die Juliana 
noch mehr nach außen ab. Sie war kein Weib, das an Heimweh krankte, 
K.O., A 9. 4
	        
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