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Mütter, die aus pyrrhas
Stamme
Sterbliche geboren sind,
dürfen durch des Grabes Flamme
5 folgen dem geliebten Kind,'
nur was Jovis Haus bewohnet,
nahet nicht dem dunkeln Strand,
nur die Seligen verschonet,
Parzen, eure strenge Hand.
10 Stürzt mich in die Nacht der
Nächte
aus des Himmels goldnem Saal!
Ehret nicht der Göttin Rechte,
ach, sie sind der Mutter. Oual!
i5 Wo sie mit dem finstern Gatten
freudlos thronet, stieg' ich hin,
träte mit den leisen Schatten
leise vor die Herrscherin.
Rch, ihr Rüge, feucht von Zähren,
so sucht umsonst das goldne Sicht,
irret nach entfernten Sphären,
auf die Mutter fällt es nicht,
bis die Freude sie entdecket,
bis sich Brust mit Brust ver-
25 eint,
und, zum Mitgefühl erwecket,
selbst der rauhe Orkus weint.
Eitler Wunsch! verlorne Klagen!
ruhig in dem gleichen Gleis
so rollt des Tages sichrer Wagen,
ewig steht der Schluß des Zeus.
Weg von jenen Finsternissen
wandt' er sein beglücktes Haupt,'
einmal in die Nacht gerissen,
35 bleibt sie ewig mir geraubt,
bis des dunkeln Stromes Welle
von Nurorens Farben glüht,
Iris mitten durch die Hölle
ihren schönen Vogen zieht.
Ist mir nichts von ihr ge¬
blieben,
nicht ein süß erinnernd Pfand,
daß die Fernen sich noch lieben,
keine Spur der teuren Hand?
Knüpfet sich kein Siebesknoten
zwischen Kind und Mutter an?
Zwischen Lebenden und Toten
ist kein Bündnis aufgetan?
Nein, nicht ganz ist sie entflohen!
Nein, wir sind nicht ganz 'ge¬
trennt!
haben uns die ewig hohen
eine Sprache doch vergönnt!
Wenn des Frühlings Kinder
, sterben,
wenn von Nordens kaltem hauch
Blatt und Blume sich entfärben,
traurig steht der nackte Strauch,
nehm' ich mir das höchste Leben
aus Vertumnus reichem Horn,
opfernd es dem Styx zu geben,
mir des Samens goldnes Korn.
Trauernd senk' ich's in die Erde,
leg' es an des Kindes herz,
daß es eine Sprache werde
meiner Siebe, meinem Schmerz.
Führt der gleiche Tanz der Horen
freudig nun den Lenz zurück,
wird das Tote neugeboren
von der Sonne Lebensblick.
Keime, die dem Buge starben
in der Erde kaltem Schoß,
in das heitre Reich der Farben
ringen sie sich freudig los.
Wenn der Stamm zum Himmel eilet,
sucht die Wurzel scheu die Nacht,'
gleich in ihre Pflege teilet
sich des Styx, des Öthers Macht.