Full text: Poesie (A, [Schülerband])

102 
Mütter, die aus pyrrhas 
Stamme 
Sterbliche geboren sind, 
dürfen durch des Grabes Flamme 
5 folgen dem geliebten Kind,' 
nur was Jovis Haus bewohnet, 
nahet nicht dem dunkeln Strand, 
nur die Seligen verschonet, 
Parzen, eure strenge Hand. 
10 Stürzt mich in die Nacht der 
Nächte 
aus des Himmels goldnem Saal! 
Ehret nicht der Göttin Rechte, 
ach, sie sind der Mutter. Oual! 
i5 Wo sie mit dem finstern Gatten 
freudlos thronet, stieg' ich hin, 
träte mit den leisen Schatten 
leise vor die Herrscherin. 
Rch, ihr Rüge, feucht von Zähren, 
so sucht umsonst das goldne Sicht, 
irret nach entfernten Sphären, 
auf die Mutter fällt es nicht, 
bis die Freude sie entdecket, 
bis sich Brust mit Brust ver- 
25 eint, 
und, zum Mitgefühl erwecket, 
selbst der rauhe Orkus weint. 
Eitler Wunsch! verlorne Klagen! 
ruhig in dem gleichen Gleis 
so rollt des Tages sichrer Wagen, 
ewig steht der Schluß des Zeus. 
Weg von jenen Finsternissen 
wandt' er sein beglücktes Haupt,' 
einmal in die Nacht gerissen, 
35 bleibt sie ewig mir geraubt, 
bis des dunkeln Stromes Welle 
von Nurorens Farben glüht, 
Iris mitten durch die Hölle 
ihren schönen Vogen zieht. 
Ist mir nichts von ihr ge¬ 
blieben, 
nicht ein süß erinnernd Pfand, 
daß die Fernen sich noch lieben, 
keine Spur der teuren Hand? 
Knüpfet sich kein Siebesknoten 
zwischen Kind und Mutter an? 
Zwischen Lebenden und Toten 
ist kein Bündnis aufgetan? 
Nein, nicht ganz ist sie entflohen! 
Nein, wir sind nicht ganz 'ge¬ 
trennt! 
haben uns die ewig hohen 
eine Sprache doch vergönnt! 
Wenn des Frühlings Kinder 
, sterben, 
wenn von Nordens kaltem hauch 
Blatt und Blume sich entfärben, 
traurig steht der nackte Strauch, 
nehm' ich mir das höchste Leben 
aus Vertumnus reichem Horn, 
opfernd es dem Styx zu geben, 
mir des Samens goldnes Korn. 
Trauernd senk' ich's in die Erde, 
leg' es an des Kindes herz, 
daß es eine Sprache werde 
meiner Siebe, meinem Schmerz. 
Führt der gleiche Tanz der Horen 
freudig nun den Lenz zurück, 
wird das Tote neugeboren 
von der Sonne Lebensblick. 
Keime, die dem Buge starben 
in der Erde kaltem Schoß, 
in das heitre Reich der Farben 
ringen sie sich freudig los. 
Wenn der Stamm zum Himmel eilet, 
sucht die Wurzel scheu die Nacht,' 
gleich in ihre Pflege teilet 
sich des Styx, des Öthers Macht.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.