Full text: [Teil 6 = Klasse 4, [Schülerband]] (Teil 6 = Klasse 4, [Schülerband])

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der Handvoll Europäer, welche Hankau zu dem gemacht haben, was es 
heute ist, zur Metropole des Teehandels. Hundert Kaukasier haben hinge¬ 
reicht, den Handel von Hunderttansenden Quadratkilometern Landes mit 
vielen Millionen Einwohnern zum großen Teile hierher zu locken. In 
den Häusern des schönen Parks am Jangtsekiang ist der Sitz dieses so 
ausgebreiteten Geschäftsverkehrs im Innern von China, und nach dieser 
Handvoll europäischer Erde im Herzen von China werden die ungezählten 
Tonnen Tee aus dem Stromgebiet des Jangtsekiang zusammengeschleppt. 
Sie kommen auf den Rücken von chinesischen Lastträgern, auf Maultieren, 
auf grotesken Dschunken und Booten und auf großen europäischen 
Dampfern. — Hierhin reisen im Frühjahr die Teehändler und Teekoster 
von Europa, von Singapore und Schanghai- täglich kommen Dampfer 
an, täglich lichten andere ihre Anker für ferne Ziele. Während weniger 
Wochen in jedem Frühjahr herrscht in Hankau steberhafte Tätigkeit. 
Europäische Handelsherren und ihre Agenten, Koster und Spekulanten, 
chinesische Geschäftsleiter, Geldzähler, Kommis und Lastträger arbeiten 
dann von früher Morgendämmerung bis in die Nacht hinein. Die vier¬ 
undzwanzig Stunden des Tages sind ihnen nicht hinreichend. Da wird 
gekauft und ausgepackt, gekostet, gemischt und eingepackt, bezahlt und ver¬ 
laden — alles nur Tee. Und kaum sind die Schiffsbäuche voll von un¬ 
gezählten Kisten, so werden die Anker gelichtet. — Das geht so, wie 
gesagt, während einiger Wochen im Jahre — etwa von Anfang Mai bis 
Anfang Juni. Dann wird es wieder still in Hankau. 
Warum diese Eile? Warum diese angespannte Tätigkeit während so 
kurzer Zeit? — Die wichtigste Teernte des Jahres trifft eben dann ein, 
und die einzelnen europäischen Teehäuser trachten natürlicherweise, die 
besten Sorten zu den niedrigsten Preisen zu ergattern. Dazu muß aber 
jede Kiste, jeder Sack geprüft werden, und diese Prüfung ist die wichtigste 
Sache des ganzen Teehandels, denn von dem Urteil des Prüfers hängen 
mitunter Summen von mehreren Tausenden Pfund Sterling ab. Tausende 
von Kisten werden der Reihe nach von flinken Lastträgern geöffnet, der 
Farbe und Qualität der Blätter nach geprüft. Dann wird jeder Kiste 
eine Probe entnommen, aus welcher in kleinen Schälchen Tee bereitet wird. 
Während draußen die Träger lärmen und schreien, sich stoßen und 
drängen, Kisten öffnen und vernageln, geht es in den dämmerigen 
Prüfungsräumen still und feierlich her. Mit derselben Genauigkeit, wie 
Apotheker bei der Mischung von giftigen Arzneien, werden die einzelnen 
Proben abgewogen, die Schälchen gereinigt, das Kochen des Wassers und 
die Dauer des „Ziehens" auf Sekunden nach Sanduhren beobachtet, dann 
schlürft der Teekoster einen Schluck durch die Zähne in den Mund, und 
nach diesem einzigen Schluck fällt die Entscheidung. Tausende Pfund 
Sterling wechseln die Hände. Ein Zögern, Nachdenken, nochmaliges 
Prüfen ist nicht gestattet. Nun prüft ein Koster mitunter hundertfünfzig
	        
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