Full text: Für die Mittel- und Oberstufe evangelischer Schulen (Teil 2, [Schülerband])

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51. Im Feldlazarett. 
3m Jahre des großen Krieges 1870 war es, als zwei Kinder, 
ein Knabe und ein Mädchen, ein Körbchen voll Kuchen in das Kloster 
der Barmherzigen Schwestern brachten für die armen, verwundeten 
Soldaten, die dort in einem Seitengebäude untergebracht waren. 
Auch einen großen, rotwangigen Apfel brachten sie mit, den sie 
freilich sehr gern selber gegessen hätten. Dennoch trugen sie ihn 
zu den Kranken, um ihn dem allerärmsten zu schenken. „Aber kein 
Franzose soll ihn haben", sagte der Knabe heftig, und das Mädchen 
wiederholte: „Nein, kein Franzose, nur ein Deutscher, der aller¬ 
ärmste, dem Arme und Beine abgeschossen sind." 
„Ihr mögt ihn selber austeilen", sagte die Barmherzige Schwester. 
„Ihr dürft mich begleiten, ich will eben meine armen Freunde be¬ 
suchen." Das Mädchen nahm dann sein Körbchen und der Junge 
seinen Apfel, und sie folgten mit behutsamen Schritten der freund¬ 
lichen Führerin. Noch vor der Tür des Hauses sah der Knabe 
seinen Apfel so zärtlich an, daß die Schwester lächelnd erwartete, 
die lockende Frucht würde sofort verspeist werden. Aber nach kurzem 
Kampfe legte ihn der Bruder in das Körbchen der Schwester und 
sägte aufatmend: „Verwahre du ihn lieber!" 
Die Tür öffnete sich, und sie traten ein wenig furchtsam in 
den langen Saal. Da standen die reinen, schlichten Betten, das eine 
dicht neben dem andern, und auf jedem Bette lag eine Männer¬ 
gestalt, ein tapfrer Kämpfer, still ausgestreckt, Freund und Feind 
friedlich durcheinander. Es war zwar das Zimmer der Genesenden; 
aber die meisten von ihnen konnten doch noch nicht aufrecht sitzen 
und sahen sehr blaß und matt aus. Wie viele Schmerzen hatten 
sie wohl aushalten müssen, ehe sie diese Nuhestatt erreichten! Wie 
hatte das Fieber heiß gebrannt, als sie auf dem Wagen lagen, der 
sie langsam in der Sonnenglut hierher fuhr! Hier und da lag eine 
verbundene Hand auf der Decke; eine feindliche Kugel hatte die 
Finger zerschmettert. Hier wurde ein Armstummel sichtbar; dort 
ragte der dicke Verband eines Beines hervor, dem man den Fuß 
hatte abnehmen müssen; der trug ein großes Tuch um seine zer¬ 
brochene Kinnlade. Hier war eine Stirn mit Pflastern zugedeckt; 
da lag noch eine Binde über den armen, halbblinden Augen, überall 
Leid und Weh und doch auch Geduld und Hoffnung. An den Wänden 
hingen allerlei Bilder: der König Wilhelm und verschiedene Könige 
und Prinzen, Bismarck, Moltke, Roon und viele andre Generale, 
und mitten darunter die Bilder irgend eines alten Vaters, einer 
treuen Mutter, einer guten Schwester, einer Braut, einer Frau. 
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