Full text: Für die Mittel- und Oberstufe evangelischer Schulen (Teil 2, [Schülerband])

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248. Das Rauhe Haus zu Horn bei Hamburg. 
Wir wanderten aus dem Getümmel der Großstadt Hamburg ostwärts 
hinaus durch verschiedene Vororte, an freundlichen Villen in blühenden 
Gärten vorüber bis nach Horn. Auf unsere Frage nach dem Rauhen 
Hause wies man uns ein weites, offenes Tor, das eine Hecke durchbricht, 
die das ganze Grundstück umschließt. Wir treten ein und befinden uns 
in einem großen Garten, der an dem schönen Maitage in reicher Blüten¬ 
fülle prangt. Zwischen den Bäumen hindurch erblicken wir eine Anzahl 
kleiner und großer Häuser. — Das Rauhe Haus ist nicht etwa ein Haus, 
sondern ein ganzes Dorf. 
Wir lenken unsre Schritte zunächst nach der Direktorwohnung, 
einem grünberankten, sehr einfachen Hause, „die grüne Tanne“ genannt, 
und bringen dort unsern Wunsch vor, das Rauhe Haus sehen zu dürfen. 
Sofort wird uns ein Führer mitgegeben, und wir treten unsre Wanderung 
durch den blühenden Garten an. Wie wohlgepflegt sieht alles aus! 
Man muß seine Herzensfreude daran haben. Da hält unser Führer vor 
einem gar alten, schlichten, mit Stroh gedeckten Häuschen an; „das 
alte Rauhe Haus“, sagt er mit ehrfurchtsvollem Ton. Wir stehen vor 
der Wiege der großen Anstalt. In dies Häuschen zog im Herbste des 
Jahres 1833 der junge Kandidat Wiehern mit seiner Mutter und einigen 
Knaben ein, um ihnen ein Vater zu werden. Man sieht’s dem Hause an, 
daß es mit liebender Sorgfalt in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten 
und vor dem Verfall bewahrt wird. Wir finden in ihm die Wohn- und 
Schlafräume einer „Familie“, d. h. einer Gruppe von zwölf Knaben, 
die unter der Obhut eines „Familienbruders“ hier wohnen; auch einige 
„Brüder“ wohnen in diesem Hause. In einem Zimmer befindet sich 
ein Wichern-Museum: zahlreiche Bilder von ihm aus allen Lebensaltern, 
sein Schreibtisch u. a. — In nächster Nähe des Hauses fällt uns eine 
Kastanie auf. Sie sieht ziemlich traurig aus; an vielen Stellen ist sie 
mit eisernen Bändern und Klammern zusammengehalten. Wir wundern 
uns, daß man den alten, dürftig belaubten Baum nicht wegnimmt. Der 
Führer aber kommt unsrer Frage zuvor, indem er uns erzählt, daß die 
Kastanie bis vor wenigen Jahren wegen ihrer Schönheit der Stolz des 
Gartens gewesen ist, bis ein Blitzschlag sie getroffen und der schönsten 
Äste beraubt hat; der Führer erzählt uns, daß mit diesem Baume die 
ganze Geschichte des Hauses eng verknüpft sei — kein Fest, das nicht 
wenigstens teilweise unter ihrem Schatten gefeiert worden wäre, an dem
	        
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