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zu Muthe! ckZs störet sich nicht daran, ob der Brunnentrog vom Froste zer¬
springe, die Eiche krachend zerspalte — es singt dem Sturm ins Angesicht.
Siehe, nun fleucht es hernieder zu den Bäumen des Obstgartens.
Hier suchet es sorgsam die Eier der Raupen, welche im Frühjahre die
Blüten der Bäume zernagen und zerstöret sie, auf daß" der Frühling in
seiner blühenden Gestalt, und der Herbst mit vollen Ästen und Zweigen
erscheinen möge. — Siehest du, wie es jetzt wieder sich auf die Windfahne
des Hauses erhebt und sein Lied anstimmt, um alle zu erfreuen, die cs
vernehmen in der kalten Winterzeit, um ihnen ein Muster und Beispiel zu
sein in fröhlicher Genügsamkeit und frommem Muthe."
Da sagte der Knabe: „Wie nennt man denn das liebe Vöglein?"
Da antwortete der Vater und sprach: „Siehe, die Menschen haben,
weil es ein so feines und freies Gemüth hat, ihm einmüthiglich einen
hohen Namen und Würde beigelegt, denn sie nennen es, obwohl es nur
klein von Gestalt ist, seit alten Zeiten den Wintcrkönig oder Zaunkönig
und stellen cs neben den stolzen Adler.
So habe auch du nur, so lauge du klein bist, ein feines königliches
Gemüth. Wenn du einmal groß sein wirst, wird dir auch die Herrschaft
nicht fehlen.
Und eine Krone verdienen ist mehr noch, als sie auf dem Haupte tragen."
Da sagte der Knabe: „Vater, können die Könige auch fliegen?"
„Nein," antwortete der Vater, „da hat das Vöglein den Vorrang,
sie sind Menschen, wie wir auch."
„Oh!" — — sagte der Knabe, und als sie wieder am Kamin
waren, bat er den Vater, noch mehr von dem Vöglein zu erzählen.
Gern willfahrete der Vater der Bitte des Kindes und gab ihm im
Scherze die ernste Lehre. Denn also macht es auch zuweilen die freund¬
liche Natur. Krummacher.
193. Das Reh.
Es herrscht tiefe Waldstille. Da knackt es in den Zweigen. Ein
Rehbock, erst mit halbem Leibe sichtbar, tritt aus dem Waldesdunkel. Das
Haupt mit seinem kräftigen, doch nicht viclzackigcn Geweih ist keck empor¬
gerichtet. Die großen, hellen Augen rollen nach allen Seiten, ob alles
sicher und ohne Gefahr sei. Er zieht sich wieder zurück, kommt noch einmal
und prüft, und nun erst gibt er den Seinen das Sichcrheitssignal. Im
Nu ist das Reh mit seinen beiden Kälbchen ihm zur Seite, und in mun¬
teren Sprüngen geht es hinab ins Thal und auf die bethaute Waldwiese.
In den drolligsten, muthwilligsteu Sätzen umkreisen die netten, weißgeflccktcn
Zicklein die Mutter, entfernen sich von ihr, sind mit Blitzesschnelle wieder
da, tändeln mit ihr und werfen sich nieder, um zu saugen. Bald kommen
noch mehrere der munteren Thiere hinzu; schon ist ein ganzes Rudel bei¬
sammen. Da schlagen die Hunde bei der in der Ferne durch den Wald
läutenden Kuhherde an; im Nu ist der Haufe auseinander. In wilden
Sprüngen setzen die Thiere durch die Fichtenschonung, und bergauf, bergab
geht die Flucht..
Das Reh ist ein munteres, gewecktes und schönes Thier. In allen
seinen Bewegungen zeigt sich eine Leichtigkeit, in seinem Laufe eine Flüchtig-