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und Wonne zu finden. — Im Tode ist dieses Band zerrissen,
aber wir hoffen mit Zuversicht, es werde in der Höhe sich
wieder dauerhaft knüpfen. Und diese Hoffnung ist am Sarge
unser Trost, unser Anker, unser Rettungsstern.
Wiege und Sarg, — an beiden wird gebetet. Fromme
Wünsche, Gedanken und Gefühle steigen aus den Herzen der
Eltern zum Himmel auf, wenn sie an dem harmlosen Lager des
Kindes stehen. Um Glück und Segen für den Liebling beten sie
zu Gott. Auch an dem Sarge beten wir. Wir beten für den
Toten. Wir beten für ihn um ein gnädiges Gericht, um
Himmelsfrieden und Seligkeit. Wir beten für uns um Weisheit
für das Leben und das Sterben.
Wiege und Sarg, — immerdar werdet ihr Menschen ber¬
gen. Oft, ach, steht ihr nahe an einander, oft kaum eine
Spanne weit getrennt! Doch nahe oder fern, ihr beide seid
Wiegen, die eine: Wiege für die Erde, die andere: Wiege für
den Himmel.
173. Die Kapelle.
(Ludwig Uhland.)
1. Droben stehet die Kapelle,
Schauet still ins Thal hinab;
Drunten singt bei Wies’ und Quelle
Froh und hell der Hirtenknab’.
2. Traurig tönt das Glöcklein nieder,
Schauerlich der Leichenchor;
Stille sind die frohen Lieder,
Und der Knabe lauscht empor.
3. Droben bringt man sie zu Grabe,
Die sich freuten in dem Thal.
Hirtenknabe! Hirtenknabe!
Dir auch singt man dort einmal.
174. Die drei Freunde.
(Johann Gottfried v. Herder.)
Traue keinem Freunde, worin du ihn nickt geprüft hast!
An der Tafel des Gastmahles gibt es mehr derselben als an
der Thüre des Kerkers.
Ein Mann hatte drei Freunde^ zwei derselben liebte er
sehr, der dritte war ihm gleichgültig, obgleich dieser es am
redlichsten mit ihm meinte. Einst ward er vor Gericht gefor¬
dert, wo er unschuldig, aber hart verklagt war. „Wer unter