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38S. Das Reh.
(Nach Hermann Wagner.)
Im schönen Maimonat wird das Nehkälbchcn an einem
stillen, versteckten Plätzchen im dichten Buschwerk oder im hohen
Gras geboren. Es ist so groß wie ein Ziegenlämmchen, gelb¬
braun und mit Hellen Streifen gezeichnet. Es wird von dem
alten Reh gesäugt, wie das Kalb von der Kuh und das Füllen
vom Pferde. Schon nach wenigen Tagen folgt es der Mutter
bei den Spaziergängen in den Wald; dann werden die dünnen
Beinchen kräftiger und flinker. Es sucht sich die zartesten Gras¬
spitzen heraus oder die weichsten Blätter der Kräuter und ver¬
speist sie. Am Abend bei Dämmerlicht wandern die Rehe ans
dem Wald ins Getreidefeld, der Rehbock voran, die Ricke» mit
den Kälbchen ihm nach. Dort lagert die Familie am Tage,
von den hohen Halmen versteckt; am Abend oder in der Mor¬
gendämmerung schmausen sie die saftigen Erbsen oder den Hafer
vom Acker.
Ohne Gefahr sind aber die Tage des Rchkälbchens nicht.
Einer der schlimmsten Feinde ist der Fuchs, der schlaue Räuber.
Gar zu gern schleicht er sich an die weidenden Rehe heran und
stellt sich so gutmütig und unschuldig als möglich. Ist ein jun¬
ges Reh vorwitzig genug, ihm zu nahe zu kommen, und hat die
Mutter nicht gehörig acht daraus, so springt er zu, erwürgt das
Kälbchen und schleppt es zum Fraße fort. Ebenso stellen ihm
Uhu und Adler nach.
Sobald im Spätsommer die Sensen erklingen, wandert die
Familie zurück in den Wald und sucht die alten Lieblingsplätz¬
chen wieder auf. Die braunen Haare, welche das Sommerkleid
bildeten, fallen allmählich aus, und es wachsen an ihrer Statt
neue von graubrauner Farbe. Sie sind aber nicht weich und
geschmeidig wie der Pelz des Marders oder der Katze, sondern
ziemlich rauh und brüchig.
Im Herbst verliert der alte Rehbock sein Geweih, und wenn
cs nicht von selbst abfallen will, stößt er es sich an den Baum¬
stämmen ab. Zu derselben Zeit fangen auch die ersten Geweihe
der jungen Rehböckchen zu wachsen an. Anfänglich sind die
beinahe geraden Stangen noch weich und mit Haut und Haaren
überzogen; aber bald werden sie hart und verknöchern. Das so
stattlich bewaffnete Böckchen heißt nun Spießer. Im zweiten
Jahre bekommt das Rehböckchen ein Geweih, bei dem jede
Stange noch einen Seitenast hat; es wird dann vom Jäger
Gabelbock genannt. In späteren Jahren erhält jede Hälfte drei,
vier bis fünf Zacken. Mit dem Geweih wächst dem Rehbock