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Nach einigem Besinnen sagte Kaspar: „Weilst du, wie
wir es machen wollen? Geh morgen nach Schwyz und sage
den Richtern deine und meine Grunde, so brauche ich ja nicht
dabei zu sein!“ — „Wenn du das Zutrauen zu mir hast,
so kannst du dich darauf verlassen, dals ich für dein Recht
reden will, wie für mein eigenes.“
Nach dieser Abrede ging Veiten den folgenden Tag nach
Schwyz und trug seine und Kaspars Gründe vor, so gut er
konnte. Am Abend kam er wieder zu Kaspar und sagte:
„Die Wiese ist dein, die Richter haben sie dir zugesprochen;
ich wünsche dir Glück und bin froh, dals wir ins reine
gekommen sind.“
108. Der Fuchs und der Kranich.
(Nach Äsop.)
Ein Fuchs lud einen Kranich zur Mahlzeit ein. Als der
Kranich kam, da hatte der Fuchs in lauter flachen Schüsseln aller¬
hand Suppen aufgetragen und sagte zum Kranich, er möge es sich
gut schmecken lassen. Der Kranich aber konnte mit seinem langen
und dünnen Schnabel nichts davon genießen und mußte es mit
ansehen, wie der schadenfrohe Fuchs unterdessen mit Wohlbehagen
speiste.
Bald daraus lud der Kranich den Fuchs ein und setzte ihm
die schönsten Leckerbissen in Flaschen mit langem und engem Halse
vor und sagte, nun möchte er nur zulangen und thun, als wenn
er zu Hause wäre. Der Kranich hielt seinen langen Schnabel in
die Flasche hinein und aß und trank nach Herzenslust. Der Fuchö
hatte das Zusehen und ging zuletzt beschämt davon.
109. Oie Witwe und der Landwehrmann.
("Ferdinand Schmidt.)
Eine in Leipzig wohnende Witwe mit vier kleinen Kindern
bekam im Kriege Preussens gegen Österreich im Jahre 1866
einen preussischen Landwehrmann als Einquartierung auf
einen Tag. Zu Mittage gab’s Kartoffelmus, für den Sol¬
daten besonders noch eine Bratwurst dazu. Während die
Frau noch einmal nach der Küche geht, verteilt der Land¬
wehrmann die ausschliesslich für ihn bestimmte Bratwurst
unter die vier Kinder, die sich die Gabe auch sofort wohl¬
schmecken lassen.