Full text: Lesebuch für die mittlere und obere Stufe (Teil 3, [Schülerband])

11. Die gute Mutter. 
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erwirbt, man am Montage verdirbt. — Am EFeiertage gesponnen, 
hält nicht. — Vorbei an der Kireh' und dem Schusbaus geht der 
kürzeste Weg ins Zuehthaus. — Gottes Wort soll nieht sein wie 
ein Sehlag ins Wasser, vielmehr wie ein Samenkorn, das in ein 
fruehtbares Erdreich fällt. 
11. Die gute Mutter. 
Im Jahre 1796, als die französische Armee nach dem Rückzuge 
aus Deutschland jenseits hinab am Rheine lag, sehnte sich eine Mutter 
in der Schweiz nach ihrem Kinde, das bei der Armee war und von 
dem sie lange nichts erfahren hatte, und ihr Herz hatte daheim keine 
Ruhe mehr. „Er muß bei der Rheinarmee sein,“ sagte sie, „und der 
liebe Gott, der ihn mir gegeben hat, wird mich zu ihm führen.“ Und 
als sie auf dem Postwagen zum St. Johannisthor in Basel heraus 
und an den Rebhäusern vorbei ins Sundgau gekommen war, treu— 
herzig und redselig, wie alle Gemüter sind, die Teilnahme und Hoffnung 
bedürfen, und die Schweizer ohnedem, erzählte sie ihren Reisegefährten 
bald, was sie auf den Weg getrieben hatte. „Find' ich ihn in Kolmar 
nicht, so geh' ich nach Straßburg; find' ich ihn in Straßburg nicht, 
so geh ich nach Mainz.“ Die anderen sagten das dazu und jenes, 
und einer fragte sie: „Was ist denn Euer Sohn bei der Armee? 
Major?“ Da wurde sie fast verschämt in ihrem Inwendigen. Denn 
sie dachte, er lönnte wohl Major sein oder so etwas, weil er immer 
brav war, aber sie wußle es nicht. „Wenn ich ihn nur finde,“ sagte 
sie, „so darf er auch etwas weniger sein; denn er ist mein Sohn.“ 
Zwei Stunden herwärts Kolmar aber, als schon die Sonne sich zu 
den Elsasser Bergen neigte, die Hirten trieben heim, die Kamine in den 
Dörfern rauchten, die Soldaten in dem Lager nicht weit von der Straße 
slanden partieenweise mit dem Gewehr beim Fuß, und die Generäle und 
Obersten standen vor dem Lager beisammen, diskurierten mit einander, 
und eine junge, weißgekleidete Person von weiblichem Geschlecht und 
feiner Bildung ftand auch dabei und wiegte auf ihren Armen ein Kind. 
Die Frau im Postwagen sagte: „Das ist auch keine gemeine Person, 
da sie nahe bei den Herren steht. Was gilt's? der, welcher mit ihr 
redet, ist ihr Mann.“ Der geneigte Leser fängt allbereits an, etwas 
zu merken, aber die Frau im Postwagen merkte noch nichts. Ihr 
Mutterherz hatte noch keine Ahnung, so nahe sie an ihm vorbeigefahren 
war, sonderu bis nach Kolmar hinein war sie still und redete nimmer. 
In der Stadt im Wirtshaus, wo schon eine Gesellschaft an der Mahl— 
zeit saß, und die Reisegefährten setzten sich auch noch, wo Platz war, 
da war ihr Herz erst recht zwischen Bangigkeit und Hoffnung ein— 
geengt, da sie jetzt etwas von ihrem Sohne erfahren könnte, ob ihn 
niemand kenne, und ob er noch lebe, und ob er etwas sei, und hatte 
doch den Mut fast nicht, zu fragen. Denn es gehörte Herz dazu, eine
	        
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