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87. Frtthlingsglanbe.
1. Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.
2. DieWelt wird schöner mitjedemTag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal;
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.
L. Uhland.
88. Osterspaziergang.
Vom Eise befreit sind Strom und Büche
Durch des Frühlings holden belebenden
Blick,
Im Tale grünet Hoffnnngsglück;
Der alte Winter in seiner Schwäche
5 Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes;
io Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farbe beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
iS Nach der Stadt zurückzusehen!
Aus dem hohlen, ffnstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern;
Sie feiern die Auferstehung des Herrn.
Denn sie sind selber auferstanden 20
Aus niedriger Häuser dumpfen Ge¬
mächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern'
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht 25
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh, wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breif und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt 30
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn!
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel. 35
Hier ist des Volkes wahrer Himmel;
Zufrieden jauchzet groß und klein:
„Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!"
W. v. Goethe.
geistlich Abendlied.
89. Ein
1. Es ist so still geworden,
Verrauscht des Abends Wehn,
Nun hört man allerorten
Der Engel Füße gehn.
Rings in die Tale senket
Sich Finsternis mit Macht —
Wirf ab, Herz, was dich kränket
Und was dir bange macht!
2. Es ruht die Welt im Schweigen,
Ihr Tosen ist vorbei,
Stumm ihrer Freude Reigen
Und stumm ihr Schmerzensschrei.
Hat Rosen sie geschenket,
Hat Dornen sie gebracht —
Wirf ab, Herz, was dich kränket
llnd was dir bange macht!