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Hausmädehen aufforderte, ihr Hilfe zu leisten. NMit einigen Scheren-
schnitten trennte sie Jacke und Hemd auf und streifte die Kleider vom
Oberkörper völlig ab. Mit einem Taschentueh entfernte sie den Sehlamm,
der sich ĩm Munde befand, zog die Zunge hervor und band deren Spitze
mit dem Taschentuch auf dem Kinn fest. Dann begann sie mit dem
Hausmãdchen die künstlichen Atembewegungen auszuführen, wie sie es
in der Samariterschule gelernt hatte. In stets gleichem Takte wurde
dureh Erheben der Arme bis über den Kopf der kleine Brustkasten
mõglichst weit ausgedehnt und dann wieder durch Senken der Arme und
Druck auf die Seitenflächen der Brust zusammengedrückt. NMit deutlich
hörbarem Geräuseh drang der Luftstrom ein und aus; aber das Kind
lag blaß und leblos, wenn die beiden Mädcehen, von der Anstrengung
ermattet, auf Augenblicke ihre Bemühungen aussetzten.
3. Eine Viertelstundé nach der andern verging; immer mebr
schwand die Hoffnung der Mutter und der Umstehenden. Endlich,
nachdem mehr als eine Stunde lang die Bewegungen fortgesetzt waren,
schrie plötzlich das junge Mädehen auf: „Jetzt hilft es! Er fängt an
zu atmen! Und siehe da, als sie mit den Bewegungen einhielten, hob
sich die kleine Brust von selbst, und eine leichte Röte färbte die blassen
WVangen. Lauter Jubel der Umstehenden erhob sich; aber die beiden
Helferinnen lieben noch nicht nach und setzten, obwohl aufs äuberste
erschöpft, ihre Bemühungen unablässig fort, bis sieh die Wangen leb—
hafter röteten und der Kleine plötzlich die Augen aufschlug. Nun
wurden auf Geheiß der jungen Samariterin die gewärmten Decken her-
beigebracht, in die der Kleine nach Beseitigung der übrigen Kleidungs-
stücke eingehüllt und mit denen er dann tüchtig gerieben wurde. Der
Kleine fing an zu sprechen und verlangte etwas zu trinken. Man flöbßte
ihm warmen Tee ein und trug ihn nun, in Decken eingehüllt, ins Haus
und in sein Bett, wo er dann bald in einen gesunden und tiefen Schlaf
verfiel. Als ich dann später an sein Bett trat, klagte er über nichts mehr.
Friedrich von Esmarch. GLeipziger Lesebueh für Fortbüldungsschulen.)
25. Ein falscher Freund.
. Traue keinem Freunde, ehe du von seiner Aufrichtigkeit überzeugt
bist! So mancher schleicht sich mit verführerischen Worten an den Men-
schen heran, um ihn nur um so sicherer verderben zu können. Zu
diesen falschen Freunden gehört auch der Branntwein.
„Ich wärme dich!“ spricht er zu dem frierenden Wanderer, dem bei
strenger Vinterkälte ein Wirtshausschild am Wege winkt. „Nimm