3. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!
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Aber Pohl wandte sich weg von ihnen und ging in sein Garten¬
haus nnd legte sich ans das Polster, zn ruhen, wie er pflegte. Es war
aber ein schwüler Tag, und dicht am Gartensaale floß ein Strom; der
verbreitete Kühlung, uiib es war eine Stille, daß kein Lüftchen sich regte.
Da hörte Pohl das Gelispel des Schilfes am User; aber es tönte
ihm gleich dem Gewinsel der Kinder der armen Witwe, nnd er ward
unruhig auf seinem Polster. Danach horchte er auf das Rauschen des
Stromes, nnd cs deuchte ihm, als ruhe er am Gestade eines öden,
großen Meeres, und er wälzte sich auf seinem Pfuhle. — Als er nun
wieder horchte, erscholl ans der Ferne der Donner eines aufsteigenden
Gewitters; da war ihm, als vernähme er die Stimme des göttlichen
Gerichts.
Run stand er plötzlich auf, eilte nach Hause und gebot seinen Knechten,
die arme Witwe wieder ins Haus zurück zu führen. Aber sie war samt
ihren Kindern in den Wald gegangen und nirgends zu finden. Unterdes
war das Gewitter herausgezogen, und es donnerte und fiel ein gewaltiger
Regen. Pohl aber war voll Unmuts und hatte keine Ruhe, wo er auch ging,
. nnd wo er auch saß. Am andern Tage vernahm er, das kranke Kind sei
im Walde gestorben und die Mutter mit den andern hinweggezogen.
Da ward ihm sein Garten samt dem Saale nnd Polster zuwider, und er
genoß nicht mehr die Kühlung des rauschenden Stromes. Bald darauf
fiel er in eine Krankheit, uiib in der Hitze des Fiebers vernahm er immer
des Schilfes Gelispel uitb das Rauschen des Stromes und das dumpfe
Tosen des aufsteigenden Wetters. Also verschied er.
Friedr. Adolf Grummacher.
Ein gut Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen. — Vös Gewissen,
böser Gast; weder Ruhe, weder Rast.
Verleugne dich selöst!
53. Dienertreue.
Ein reicher Herr in Polen fuhr zur Winterszeit in einem Schlitten
nach der Stadt Ostrowo, nur von seinem Knechte Jakob begleitet, der
dem Schlitten vorreiten mußte. Ehe sie die Stadt erreichten, mußten sie
zuvor durch einen langen, einsamen Wald, nnd es war bereits Abend.
Der Knecht schlug daher dem Herrn vor, in einer Herberge, die am
Eingänge des Waldes lag, zu übernachten; denn im Walde seien viele
F. Hirts Deutsches Lesebuch. Ausg. B. IV. 4