Vornehme und Geringe. Ein betreßter Diener erscheint mit einem ganzen Berg
großer Filzpantoffeln auf der Schulter. Rasch schlüpfen wir in ein Paar
hinein mit unsern bestäubten und schmutzigen Stiefeln, um den glänzenden,
spiegelglatten Parkettfußboden nicht zu verderben und auf ihm nicht auszu⸗—
gleilen. Fast unhörbar rutscht die ganze Gesellschaft hinter dem Diener her,
der in eintöniger Weise in jedem Zimmer seine Erklärungen gibt. Wir be—
kommen aber beileibe nicht alle Zimmer zu sehen, und das ist gut; denn das
Schloß enthält deren über 700. Auch die Wohnräume der kaiserlichen Familie
sehen wir nicht, da ein Kaiser doch auch Ruhe haben muß, um ungestört
arbeiten zu können. Die Besucher gehören eben in die „gute Stube“.
Was gibt's da aber alles zu sehen und zu bewundern! Holzschnitzereien
an und über den Türen, seidene, mit Adlern geschmückte Tapeten, Wand⸗
und Deckengemälde, kunstvoll gearbeitete goldene und silberne Gefäße, ein
silberglänzendes Gitter, das aber nur aus Holz besteht, weil Friedrich
der Große das Silber einschmelzen ließ, um Münzen daraus zu schlagen.
Durch eine lange Zimmerflucht kommen wir zuletzt in den Weißen Saal.
Der fieht aber auch wahrhaft kaiserlich aus. Er ist an den Wänden überall
mit weißem Marmor ausgekleidet. Ringsherum stehen Marmorstandbilder
der preußischen Könige. An einer Seite wird gerade ein Thron aufgebaut.
Vorläufig sieht er gar nicht kaiserlich aus, sondern die Holzblöcke und Bretter,
qus denen das Gerüst gezimmert wird, machen einen ganz gewöhnlichen Ein⸗—
druck. Wenn aber erft kostbare, weiche Teppiche darüber gebreitet sind und
obendrauf der Kaisersessel mit der Krone steht, dann sieht's schon anders aus.
Und betritt gar der Kaiser ihn, umgeben von Fürsten und Ministern, um die
Thronrede zur Eröffnung des Reichs- oder Landtags zu verlesen, dann
maͤg den im Halbkreise herumstehenden Abgeordneten doch die Brust weit
und das Herz voll werden von freudigem Stolze über deutsche Kaisermacht
und Herrlichkeit, und das Kaiserhoch mag in diesem Raum dann noch
stolzer und jubelnder klingen als anderswo.
6. Nachdem wir noch der weihevollen Kapelle des Schlosses einen
Besuch abgeftattet haben, steigen wir wieder hinab in den Lustgarten
nördlich vom Schlosse. Die Ostseite dieses lieblichen, mit Anlagen reich—
geschmückten Platzes, in dessen Mitte sich das schöne Reiterstandbild
Friedrich Wilhelms III. erhebt, begrenzt der neue Dom, die größte und
slolzeste Kirche Berlins, die im Stil viel Ähnlichkeit mit der Peterskirche
in Rom hat. Auf der Nordseite des Lustgartens hat die Kunst ihr
Heiligtum. Fünf große Museen zeigen, was die Völker aller Zeiten in
der Kunst hervorgebracht haben. Aber schon sind die Gebäude viel zu
klein, um aͤlles zu fassen, und großartige Pläne liegen vor, alle diese
Museen zu erweilern und zu einer einzigen Anlage umzuschaffen, die ihres⸗
gleichen kaum haben wird. Ungeheure Schätze sind hier aufgespeichert,
biele Hunderte von Millionen beträgt ihr Wert, viele sind überhaupt kaum
zu bezahlen. Und doch liegt alles so einladend vor jedermanns Augen
usgebreitet, und das Ansehen kostet keinen Pfennig. Wir können leider
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