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Trauernd neigt des Schlosses Lind’
Vor ihm ihre Äste nieder,
Vögel, die in ihrer Hut,
Singen wehmuthsvolle Lieder.
Mancher eilt des Wegs daher,
Der gehört die bange Sage,
Sieht des Helden sterbend Bild
Und bricht aus in laute Klage.
Aber nur von Himmelslust
Spricht der Greis mit jenen zweien;
Lächelnd blickt sein Angesicht,
Als ritt' er zur Lust im Maien.
Von dem hohen Dom zu Speier
Hört man dumpf die Glocken schallen;
Ritter, Bürger, zarte Frauen
Weinend ihm entgegen wallen.
In den hohen Kaisersaal
Ist er rasch noch eingetreten;
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Sitzend dort auf gold’nem Stuhl,
Hört man für das Volk ihn beten.
„Reichet mir den heil’gen Leib!“
Spricht er dann mit bleichem Munde;
Drauf verjüngt sich sein Gesicht
Um die mitternächt’ge Stunde.
Da auf einmal wird der Saal
Hell von überird’schem Lichte,
Und entschlummert sitzt der Held,
Himmelsrull im Angesichte.
Glocken dürfen’s nicht verkünden
Beten nicht zur Leiche bieten,
Alle Herzen längs des Rheins
Fühlen, dass der Held verschieden.
Nach dem Dome strömt das Volk,
Schwarz, unzähligen Gewimmels.
Der empfieng des Helden Leib,
Seinen Geist der Dom des Himmels.
J. Kerner.
Brockenreise.
Die Sonne gieng auf. Die Nebel flohen wie Gespenster beim drillen
Hahnenschrei. Ich stieg wieder bergauf und bergab, und vor mir schwebte
die schöne Sonne, immer neue Schönheiten beleuchtend. Der Geist des
Gebirges begünstigte mich ganz offenbar und ließ mich diesen Morgen sei¬
nen Harz sehen, wie ihn gewiß nicht jeder sah. Aber auch mich sah der
Harz, wie mich nur wenige gesehen; in meinen Augenwimpern flimmerten
eben so kostbare Perlen, wie in den Gräsern des Thales. Morgenthan
feuchtete meine Wangen; die rauschenden Tannen verstanden mich, ihre
Zweige thaten sich voneinander, bewegten sich hinauf und herab, gleich
stummen Menschen, die mit den Händen ihre Freude bezeugen, und in der
Ferne klang's wunderbar geheimnißvoll, wie Glockengeläute einer verlornen
Waldkirche. Man sagte, das seien die Herdenglöckchen, die im Harz so
lieblich klar und rein gestimmt sind.
Nach dem Stande der Sonne war es Mittag, als ich auf eine solche
Herde stieß, und der Hirt, ein freundlicher junger Mensch, sagte mir, der
große Berg, an dessen Fuß ich stände, sei der alte, weltberühmte Brocken.
Viele Stunden ringsum liegt kein Haus, und ich war froh genug, daß mich
der junge Mensch einlud, mit ihm zu essen. Wir setzten uns nieder zu
einer Mahlzeit, die aus Käse und Brot bestand; die Schäfchen erhaschten
die Krumen, die lieben blanken Kühlein sprangen um uns herum, klingelten
schelmisch mit ihren Glöckchen und lachten uns an mit ihren großen, ver¬
gnügten Augen. Wir tafelten recht königlich, und mein Wirt schien mir
ein rechter König.
Wir nahmen recht freundschaftlich Abschied, und fröhlich stieg ich den
Berg hinauf. Bald empfieng mich eine Waldung himmelhoher Tannen, vor
denen ich in jeder Hinsicht Respect hatte. Diesen Bäumen ist nämlich das
Wachsen nicht so ganz leicht gemacht worden, und sie haben es sich in der