Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

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drischt, der hat zehnmal so viel Wände und Dächer zu unterhalten, und 
muß den ganzen Tag mit Besichtigen und Aufsichthaben zubringen. Ein 
ringsumher niedriges Strohdach schützt hier die allezeit schwachen Wände, 
hält den Lehm trocken, wärmt Haus und Vieh und wird mit leichter Mühe 
von dem Wirte selbst gebessert. Ein großes Vordach schützt das Haus 
nach Westen und deckt zugleich die Schweinekoben; und um endlich nichts 
zu verlieren, liegt der Mistfahl') vor der Ausfahrt, wo angespannt wird. 
Kein Bitruv (ein berühmter römischer Baumeister) ist im Stande, mehr 
Vortheile zu vereinigen. 3. Möser. 
358. Mutterliebe. 
Als die Franzosen zum ersten Male in Mainz lagen, da rückten 
etliche deutschen Fürsten mit ihren Heeren vor die Stadt, um die Franzosen 
herauszutreiben. Das gicng aber so schnell nicht, und den Soldaten der 
Reichsarmee ward darüber die Zeit lang, so daß etliche ausrissen und, um 
Grund und Ursache gefragt, alles Ernstes erwiderten, die Franzosen hätten 
wirklich mit Kugeln geschossen. 
Das that nun ein ehrlicher Vogelsberger, der unter den Hessen 
diente, nicht; wohl aber schrieb er an seine Mutter nach Hause, das 
Quartier sei schlecht, und mit Essen und Trinken verderbe man sich den 
Magen auch nicht. Das jammerte denn die Mutter sehr, daß ihr lieber 
Sohn neben schlechtem Quartier auch noch Hunger leiden solle, und sic 
nahm aus dem Beutel hinter dem Ofen eine gehörige Faust voll Hirse 
oder auch zwei und kochte ihrem Christoph einen Hirsebrei, so steif und 
saftig, daß ihr selber der Mund darnach wässerte. Als aber der Brei 
zum Ausschöpfen fertig war, da fiel ihr ein, daß ihr Christoph das Braune 
am Rande des Topfes lieber esse als Zucker und Zimmt oder Schmalz 
darauf, und sie that den Brei in kein anderes Gefäß, sondern stellte ihn 
im Topfe ruhig bei Seite. 
Am andern Morgen hob sie den Topf in die Kiepe, legte ein großes 
Brot darauf und wanderte ungesehen aus dem Dorfe hinaus, von den 
Bergen in die Ebene und durchwanderte mit rüstigen Schritten die 
Wetterau. Krieg und Kriegsgeschrei kümmerte sie nicht; der Donner der 
Kanonen schreckte sie nicht. Sie fragte im Lager nach ihrem Christoph, 
und als man ihr sagte, daß er heute in die Laufgräben commandiert sei, 
so ließ sie sich in seine Baracke führen. Dort machte sie ein Feuer an, 
als ob sie allein hier zu gebieten hätte, und als der Christoph todmüde 
und geschwärzt von Pulverdampf am Abend seine Ruhestätte aufsuchte, da 
fand er sein Mütterlein, das mit einem dampfenden Hirsebrei seiner 
wartete und zu ihm sagte: „Christoph, iß nur gleich aus dem Topfe; der 
ganze braune Rand steckt noch darin." 
Muttertreu ist täglich neu. Glaubr-qt. 
359. Wenn du noch eine Heimat hast. 
1. Wenn du noch eine Heimat hast, | Und wandre, wandre ohne Rast, 
So nimm den Ranzen und den Stecken | Bis du erreicht den theuren Flecken. 
>) Fahl — Stelle, Ort.
	        
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