Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

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daß ich's nicht kann. Es sind gar zu schöne Gegenden und tausend Wasser¬ 
fälle zwischen den Bergen, die ein Strom, die Etsch, macht. Er fließt sehr 
schnell zwischen den Gebirgen und hat insonderheit im Bischofthum Brixcn 
schöne Bäume an seinen Ufern, Pappel-, Birken- und Weidenbäume. Wir 
sind viele Stunden weit neben ihm gefahren; sucht nur hübsch auf der Karte 
nach, da könnt Ihr unsere Fahrt finden. Morgen kommen wir nach Trient; 
da finde ich vielleicht oder wohl gewiß Nachricht ,von Euch. — Lebt wohl, 
liebe Kinder, habet mich lieb und seid gesund und lebt mit Eurer Mutter 
und dem ganzen Hause wohl! Es ist jetzt spät und Ihr werdet schon meistens 
in Euren Bettchen schlafen. Schlaft wohl! 
Joh. Gottfr. v. Herder. 
44. Heimweh. 
Wenn der Schnee vom Gebirge niederthaut, 
Aus dem See blau der Himmel niederschaut, 
Wenn die Glöcklein läuten von den Almen her — 
Schau' ich denn die Heimat nimmermehr? 
Wenn das Alpenhorn von Firn' zu Firne klingt, 
Und der Gemsbock von Klipp' zu Klippe springt, 
Wo der Adler kreiset über'm Weltenmeer — 
Schau' ich denn die Heimat nimmermehr? 
Wenn das Thal blitzt in frischem Morgenglanz, 
Aus der Dorfschenk' erschallt Musik und Tanz, 
Wenn der Hirte jodelt um die Senn'rin her — 
Schau' ich denn die Heimat nimmermehr? 
Wo der Staubbach sich stürzet in die Kluft, 
Donners Zornhall von Fels zu Felsen ruft, 
Fern ertost der Schlaglawinen wildes Heer — 
Schau' ich denn die Heimat nimmermehr? 
Wenn die Nacht sinkt und rings die Alpen glühn, 
Wenn der Tag winkt und Morgenroseu blühn, 
O, mein Herz, mein Herz, was pochst du doch so schwer — 
Schau' ich denn die Heimat nimmermehr? Schn-tzler. 
45. Des Königs Grab. 
Die Westgothen wollten durch Italien nach Afrika wandern, unterwegs 
starb plötzlich Alarich ihr König, den sie über die Maße liebten. Da huben 
sie an und leiteten den Fluß Barcnt, der neben der Stadt Consentina vom 
Berge fließt, aus seinem Bette ab. Mitten in dem Bett ließen sie nun 
durch einen Haufen Gefangener ein Grab graben, und in den Schoß der 
Grube bestatteten sic, nebst vielen Kostbarkeiten, ihren König Alarich. Wie 
das geschehen war, leiteten sie das Wasser wieder ins alte Bett zurück und 
tödtetcn, damit die Stätte von niemand verrathen würde, alle die, welche 
das Grab gegraben hatten. Deutsche Sagen von den Brüdern Grimm.
	        
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