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entstanden ist. Ich schämte mich als deutscher Schiffsjunge etwas der Hilfe der
braunen Gesellen; aber es ist doch ein ganz andres Klettern als an unsern
Masten, und die oft meterhohen Tritte strengen gewaltig an. Oben hatten
wir einen herrlichen Ausblick ins weite Land. Wir bemerkten besonders, wie
scharf das Grün und das Gelb des Erdbodens geschieden sind, so daß man
ganz genau erkennen kann, wie weit das Nilwasser bei der überschwemmung
gereicht und die Wüste in Fruchtland verwandelt hat. Der evangelische Pfarrer
bon Kairo erzählte uns, daß die Könige der Ägypter, die diese Riesenbauten
einst errichtet, gemeint hätten, in solchen Grabdenkmälern ihre einbalsamierten
Leiber für alle Zeiten vor jeder Berührung zu schützen. Als dann ein
deutscher Gelehrter den Weg durch verschlungene Gänge in die innerste Toten—
kammer der Pyramide entdeckte, habe man nichts gefunden als den offenen,
leeren Steinsarg; — die Schätze waren geraubt, die Mumie weggeschleppt.
Nach dem Abstiege betrachteten wir die Reste eines vom Wüstensand
verschütteten, aus gewaltigen Granitquadern erbauten Tempels. Auch be—
wunderten wir die riesige Sphinx, ein aus gewaltigen Felsen gehauenes
Götterbild, das aus Löwenleib und Menschenkopf besteht. Ein Mann fände
in einem Ohre reichlich Raum. Wie der Wächter dieses großen Totenfeldes
schaut das Götterbild nach Sonnenaufgang.
Nach behaglicher Rast und Erquickung ritten wir wieder nach Kairo. Am
andern Tage besuchte der Onkel mit uns das Museum ägyptischer Altertümer.
Mich fesselten ganz besonders die Mumien ägyptischer Könige, und es war mir
eigen zumute bei dem Gedanken, daß ich die wirklichen Leiber der Männer vor
mir sah, von deren Taten ich früher in der Schule hatte erzählen hören.
6. Jetzt liegen die herrlichen Tage hinter mir, und sie kommen mir vor
wie ein recht sonderbarer Traum. Nachdem mich die lieben Verwandten an
Bord geleitet und herzlich von mir Abschied genommen hatten, fühlte ich mich
zuerst unter den Kameraden ganz fremd und einsam, als ob ich von Hause
geschieden wäre. — Ich muß schließen, denn gleich wird die Post abgeholt.
Jetzt, da wir durch den Suezkanal ins Rote Meer sahren sollen, habe ich
wahrscheinlich für lange Zeit die letzte Gelegenheit zum Schreiben gehabt.
Da rasseln schon die Ankerketten! Lebt alle wohl!
Karxl Klingemann. Geineckes Lesebuch.)
211. Karawanenzug durch die Wüste.
1. Am Saume der Wüste unter einer dichten Palmengruppe steht ein
kleines Zelt. Ringsherum liegen in bunter Reihe Kisten und Ballen.
Im Inneren des Zeltes befinden sich Reisende, die mittels einer Nilbarke
hierher gelangt sind. Sie beabsichtigen, einen weiten Bogen des von hier