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Kamen die Leute mit Knüppel und Flinten,
zehn von vorn und zehn von hinten,
und wollten das greuliche Untier erschlagen.
Auf einmal ruft's aus dem Sumpf hervor:
Uhl uhl und raschelt's im Rohr.
Zehn fielen auf den Rücken und zehn auf den Magen.
Die Knüppel zerbrachen,
die Flinten mit UKrachen
gingen von selbst los, piff, paff, und ein Rauch.
Da flog eine Rohrdommel aus dem Nest:
„Die haben wohl heute Schützenfest ?
Darum auchl“
Gustav Falke.
116. Von dem Neuntöter.
Es war einmal ein Neuntöter, der saß im Dornenge—
büsch und ahmte sehr geschickt die Sangesweisen anderer
Võgel nach. Bald pfiff er wie eine Grasmũcke, bald schwirrte
er wie eine hoch hinauf wirbelnde Lerche; dann dudelte er
wie ein Hänfling, krähte wie ein Zeisig, ja wagte sich end—
lich an die langen, schwierigen Strophen der Nachtigall, in
denen ihn zwar sein Gedächtnis mitunter verließ, das „Tiu,
tiu, tius ihm jedoch recht erträglich gelang.
Heute befanden sich einige Tiere in der Nahe des ver-
hängnisvollen Dornengebüsches, die dem wechselnden Liede
jenes , Würgengels“ lauschten. Zuerst ein Maikaäfer, ein stiller
Dulder — aber dumm! Das Schicksal schien ihn so recht
eigentlich zum Spielball seiner übeln Launen ausersehen zu
haben. Zuerst traf ihn das Unglück, datß er um einen ganzen
Monat zu spãt, weil er zu tief gelegen und von der Fruüh—
lingswärme nicht erreicht worden war, aus dem dumpfen
Traume der gelangweilten Larven in die heitere, summende,
schnurrende und schnurrige Käferwelt eintrat. Er kam zum
Schluß des Juni, wo er abgetrennt von seinesgleichen da-
stand und nur noch grobe, ausgewachsene Blàtterkost vor-
fand, während seine Herren Brüder ihrer Lust in Gemüse von
jungen Knospen und Sprossen gefrönt hatten. Sodann geriet
er, auf den bei gänzlicher Maikäferlosigkeit des Juli-Monats
alle Blicke sich richteten, rettungslos in Gefangenschaft. Man
sandte ihn als seltene Ausnahme an die Redaktion einer