Full text: [Teil 6, [Schülerband]] (Teil 6, [Schülerband])

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her seinen Verlust bekannt und bot, wie man zu thun pflegt, dem ehr— 
lichen Finder eine Belohnung, und zwar von hundert Mark, an. Da 
kam bald ein guter und ehrlicher Mann dahergegangen. „Dein Geld 
habe ich gefunden. Dies wird's wohl sein! So nimm dein Eigentum 
zurück!“ So sprach er mit dem heitern Blicke eines ehrlichen Mannes 
und eines guten Gewissens, und das war schön. Der andere machte 
auch ein froͤhliches Gesicht, aber nur, weil er sein verloren geglaubtes 
Geld wieder hatte. Denn wie es um seine Ehrlichkeit aussah, das 
wird sich bald zeigen. Er zählte das Geld und dachte unterdessen ge— 
schwinde nach, wie er den treuen Finder um seine versprochene Be— 
lohnung bringen könnte. „Guter Freund,“ sprach er hierauf, „es 
waren eigentlich 800 Mark in das Tuch eingenäht. Ich finde aber 
nur noch 700 Mark. Ihr werdet also wohl eine Naht aufgetrennt 
und Eure 100 Mark Belohnung schon herausgenommen haben. Da 
habt Ihr wohl daran gethan. Ich danke Euch.“ Das war nicht schön; 
aber wir sind auch noch nicht am Ende. Ehrlich währt am längsten, 
und Unrecht schlägt seinen eigenen Herrn. Der ehrliche Finder, dem 
es weniger um die hundert Mark als um seine unbescholtene Recht— 
schaffenheit z thun war, versicherte, daß er das Päcklein so gefunden 
habe, wie er es bringe, und es so bringe, wie er's gefunden habe. Am 
Ende kamen sie vor den Richter. Beide bestanden auch hier noch auf 
ihrer Behauptung; der eine, daß 800 Mark seien eingenäht gewesen, 
der andere, daß von dem Gefundenen nichts genommen und das 
Pãcklein nicht versehrt habe. Da war guter Rat teuer. Aber der 
kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte Gesinnung 
des andern zum voraus zu kennen schien, griff die Sache so an. Er 
ließ sich von beiden über das, was sie aussagten, eine feste und feier— 
liche Versicherung geben und that hierauf folgenden Ausspruch: „Demnach, 
und wenn der eine von euch 800 Mark verloren, der andere aber nur 
ein Päcklein mit 700 Mark gefunden hat, so kann auch das Geld des 
letzteren nicht das nämliche sein, auf welches der erstere ein Recht hat. 
Du, ehrlicher Freund, nimmst also das Geld, welches du gefunden hast, 
wieder zurück und behältst es in guter Verwahrung, bis der kommt, 
welcher nur 700 Mark verloren hat. Und dir da weiß ich keinen Rat, 
als du geduldest dich, bis derjenige sich meldet, der deine 800 Mark 
findet.“ So sprach der Richter, und dabei blieb es. Hebll
	        
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