114
wenn er es mit Wild zu thun hat. Er weiß, daß dieses ihn auf ziemliche
Entfernung hin wittert und schnellfüßig genug ist, ihm zu entkommen. Des—
halb lauert er auf die wildlebenden Tiere oder schleicht sich, oft in Gesell—
schaft mit andern seiner Art, äußerst vorsichtig unter dem Winde an sie
heran. Namentlich die Wasserplätze in den Steppen Mittel- und Süd—
afrikas sind ergiebige Jagdorte für ihn.
Wenn der heiße Tag vorüber ist, und die kühle Nacht sich allmählich
herabsenkt, eilt die zierliche Antilope oder die mildäugige Giraffe, das ge
streifte Zebra oder der gewaltige Büffel, um die lechzende Zunge zu er—
frischen. Vorsichtig nahen sie sich alle der Quelle oder der Lache; denn sie
wissen, daß gerade diejenigen Orte, welche ihnen die meiste Labung bieten
sollen, für sie die gefährlichsten sind. Ohne Unterlaß witternd und lau—
schend, scharf in die dunkle Nacht äugend, schreitet das Leittier der Antilopen—
herde dahin. Keinen Schritt thut es, ohne sich zu versichern, daß alles
still und ruhig sei. Die Antilopen sind meistens schlau genug, ebenfalls
unter dem Winde an die Quelle zu gehen, und so bekommt das Leittier
die Witterung oft noch zur rechten Zeit. Es stutzt, es lauscht, es äugt, es
wittert — noch einen Augenblick — und plötzlich wirft es sich herum und
jagt in eiliger Flucht dahin. Die andern folgen; weitaus greifen die zier—
lichen Hufe der anmutigen Tiere. Über Busch und Grasbüschel setzen sie
dahin und sind gerettet. So naht sich auch das kluge Zebra, so naht sich
die Giraffe. Aber wehe ihnen, wenn sie diese Vorsicht versäumen! Wehe
ihnen, wenn sie mit dem Winde zur umbuschten Lache schreiten. Wehe,
wenn sie über der Begierde, die heiße, schlaffe Zunge zu kühlen, ihre Sicher—
heit auch nur einen Augenblick vergessen!
Gewöhnlich erliegt ein von dem Löwen erfaßtes Tier schon dem ersten
Angriffe. Die gewaltige Last, welche plötzlich auf seine Schultern fällt, die
Todesangst, welche es erfaßt, und die Wunden, welche es im nächsten Augen—
blicke erhält, verhindern es, noch weit zu laufen. Kraftlos und mutlos
bricht es zusammen. Wenige Bisse genügen, die Halswirbelknochen zu zer—
malmen und den Nerv des Lebens abzuschneiden. Und der Löwe steht nun
auf seiner Beute, mit dem stolzen Bewußtsein, daß niemand ihm dieselbe
entreißen kann. Mißlingt aber der Sprung, so verfolgt der Löwe seinen
Raub nicht, sondern kehrt fast wie beschämt nach seinem Hinterhalt zurück,
Schritt für Schritt, als ob er die rechte Länge abmessen wolle, bei welcher
ihm der Sprung gelungen wäre.
Den Menschen greift der Löwe nur äußerst selten an. Die hohe
Gestalt eines Mannes scheint ihm Ehrfurcht einzuflößen. In Mittelafrika,
wo doch der Löwe in manchen Gegenden sehr häufig ist, sind nur wenig
Fälle bekannt, daß ein Mensch von einem Löwen gefressen worden wäre.
Dort fallen den Krokodilen, ja selbst den Hyänen, weit mehr Menschen zum
Opfer, als dem Löwen. In Südafrika soll es anders sein; doch fügt man
auch hinzu, daß die Kaffern daran hauptsächlich selbst schuld wären. Bei
den beständigen Kriegen dieser Völkerschaften kommt es nämlich häufig vor,
daß die erschlagenen Feinde mitten im Walde liegen bleiben, da, wo sie das
tödliche Geschoß ereilte. Kommt nun der Löwe nachts an einen solchen
Leichnam, solange dieser noch frisch ist, so findet er es erklärlicherweise sehr